zum Hauptinhalt
Auf den eigenen zwei Rädern. Wer eine Tour durch Brandenburg unternimmt, kann Zauberhaftes entdecken – und entspannen.

© Patrick Pleul/dpa

Ein Berliner radelt über die Dörfer: Das gewagte Rad-Bahn-Brandenburg-Experiment

Das neue Tagesspiegel-Magazin "Radfahren" ist da. Unser Autor, Stadtmensch, wagte dafür ein Abenteuer: erstmals mit Bahn und Rad durch Brandenburg.

Für mein erstes Mal musste ich erst Mitte vierzig werden. Und einen kleinen Schubs brauchte ich auch. Aber am Ende hat es sich gelohnt: Ich bin mit dem Fahrrad nach Brandenburg gefahren. Das scheint manchem nix Dolles zu sein. Für mich als Stadtkind war es das schon. Aufgewachsen in einem ziemlich grünen Stadtteil im Berliner Osten, ein paar Mal hin- und hergezogen und am Ende im ziemlich grünen Teil des Stadtzentrums heimisch geworden, sah ich bis zur Bitte, für journalistische Zwecke durch die Mark zu radeln, überhaupt keinen Anlass, mich auf ein solches Abenteuer einzulassen.

Dabei bin ich gut unterwegs mit dem Rad. Ich fahre zur Arbeit, zum Einkaufen, zum Sport oder eben mal zum Kaffeetrinken. Nur regnen darf es nicht. Ich hasse dieses Gefühl, wenn sich die Feuchtigkeit langsam die Schienbeine und Oberschenkel entlangsaugt, wenn jeder Regentropfen ein kleiner Peitschenhieb ins Gesicht ist. Regenkleidung? Mit mir nicht! Ich steige doch nicht in einem Anzug aufs Rad, der aussieht, als hätte die Bundeswehr ihre Biowaffen-Schutzkleidung durch einen Eimer mit Neonfarbe gezogen.

Nichts Besonderes in der Uckermark?

Die Unwägbarkeiten des Wetters waren allerdings nicht der Grund, warum ich nie länger durch Brandenburg geradelt war. Ich war mir einfach zu sicher, dass mich dort nichts Besonderes erwarten würde. Das direkte Berliner Umland in Radelweite meines Heimatkiezes kannte ich natürlich. Aber was hatte ich in Wittstock zu suchen?

Pritzwalk hat ein Stein im, nein nicht Brett, sondern im Stadtzentrum.
Pritzwalk hat ein Stein im, nein nicht Brett, sondern im Stadtzentrum.

© Björn Seeling

Der Gedanke, an einen See in der Uckermark zu fahren, war mir fremd. Dort konnte es nichts geben, was nicht auch das Badeschiff in Treptow zu bieten hatte. In die Schorfheide? Die Hasenheide reichte doch. Oder zum Kloster Heiligengrabe in der Prignitz? Lassen wir mal die Kirche im Dorf: Besser als die Franziskaner-Ruine am Alex konnte die nicht sein. Wie ich mich irren sollte.

Bloß nicht mit dem Rad in die S-Bahn

Gruselig fand ich den Gedanken, mich mit dem Fahrrad in ein öffentliches Verkehrsmittel zu zwängen. An einem spätsommerlichen Sonnabend sollte sich zeigen, dass alles halb so wild war. Ich fuhr mit der S-Bahn nach Hennigsdorf. Von hier sollte mich der Prignitz-Express weiterbringen. Ein schönes, großes Symbol signalisierte: Hier bin ich Radler, hier darf ich’s sein. Also hinein in den Wagen, das Rad angelehnt. Dass ich mir besser so ein Gummidings mit zwei Haken kaufen sollte, mit dem sich das Rad an der Querstange festkrallen lässt, lernte ich schnell. Die ganze Chose rumste zu Boden, weil der Express seinem Namen alle Ehre gemacht und sich mit Karacho in die Kurve gelegt hatte.

Der Marktplatz von Wittstock samt Backstein-Schönheit, dem Rathaus.
Der Marktplatz von Wittstock samt Backstein-Schönheit, dem Rathaus.

© Björn Seeling

Nicht nur mein Fahrrad hat es umgehauen. Als ich nach gut zwei Stunden in Wittstock aus dem Zug stieg, hatte ich alles erwartet, nur nicht das Gefühl, plötzlich im Urlaub zu sein. Rasch über die Straße, hinein in einen Park, in dem sich das Flüsschen Glinze unter alten Bäumen hindurchschlängelt. Mein kopfsteinpflastergewohntes Stadtrad schien den glatten Weg nur so in sich hineinzufressen, und so war der Stadtkern von Wittstock im Handumdrehen erreicht. Aus meiner Kindheit, als mich meine Eltern in die Gegend schleiften, weil hier ein paar entfernte Verwandte wohnten, hatte ich eine schwache Erinnerung an graue Bröckelfassaden und schlaglochübersäte Pisten. Irgendwann muss die Stadt aber in den Farbtopf gefallen sein – von DDR-Ödnis keine Spur. Der Marktplatz mit dem Backsteinrathaus – ein perfektes Postkartenmotiv. Die Touristeninformation – manches Kurbad wäre stolz drauf.

Der endlose Himmel über Brandenburg

Tja, und dann erst die Landschaft drum herum! Bei Wikipedia steht, die Prignitz sei Flachland, das im Vergleich zu anderen Brandenburger Landschaften arm an größeren Seen sei. Selbst die Tourismuswerber bescheinigen der Gegend einen »herben Charme«. Aber für mich als Innenstadtbewohner war es dort schlichtweg schön. Einfach mal den Blick schweifen zu lassen, der sonst an den Häuserfassaden abprallt, ist nicht nur angenehm für die Augen, sondern Balsam für die Seele. Und sooo flach ist die Prignitz ja nun auch wieder nicht. Es gibt hier sanfte Hügel und stille Niederungen, durch die auch mal ein Bächlein rinnt. Obendrein wächst da erstaunlich viel Wald, und über allem wölbt sich der schier endlose Himmel.

Der Märker, das unbekannte Wesen

Aber die beste Lektion der ganzen Tour: Der Brandenburger Ureinwohner ist wirklich liebenswürdig. In der Großstadt war mein Kontakt zu ihm eher eingeschränkt. Überscheidungen gab es höchstes, wenn er mir mit seinen getunten Golf beinahe die Hacken abgefahren hätte und ich mir mühselig die vielen Großbuchstaben auf dem Autokennzeichen zu merkten suchte. Aber nun, mitten in der Mark, schlug mir Offenheit und Freundlichkeit entgegen. Schon auf der Hinfahrt gab es Tipps von einem Mitreisenden im Zug, in welchen Orten es sich gut einkehren lässt (und auf der Rückfahrt gab es ein großes Hallo, weil wir uns wiederbegegneten).

Später auf der Tour, mitten im Wald, die Begegnung mit dem Pilzsammler, der nicht nur die Hälfte seiner prächtigen Steinpilze verschenken wollte, sondern auch gleich verriet, wo er sie gefunden hatte. Oder die herzige Frau vom Café mitten auf der Wiese irgendwo im Nirgendwo. Sie säbelte große Stücke vom selbst gebackenen Kuchen ab und servierte das Rezept gleich dazu. Wenn ich nur daran denke, ärgere ich mich über meine Nachbarn in Berlin, die nach zehn Jahren im selben Haus weder Miff noch Maff sagen, wenn ich ihnen an der Mülltonne begegne.

Asphaltierte Radwege bis zum Horizont

Und ein kleines bisschen Neid verspürte ich angesichts der Wege übers Land. Viele Kilometer war ich auf asphaltierten Radpisten unterwegs, alle gut in Schuss und breit genug, dass man auch mal nebeneinander fahren kann (den nervigen Waldweg durch knöcheltiefen märkischen Sand am Rand von Wittstock vergessen wir mal). Schilder stehen an allen wichtigen Punkten. 7000 Kilometer Radwege durchziehen Brandenburg, rund 5000 davon hat der Allgemeine Deutsche Fahrradclub zertifiziert, also für gut befunden. In meiner geliebten Heimatstadt hingegen gibt es 1000 Kilometer, die der Senat »Radverkehrsanlagen« nennt. Darunter sind 870 Kilometer eigenständige Radwege, die nicht immer ihren Namen verdienen. In Brandenburg wird einem das Radfahren echt leicht gemacht.

Als ich dann wieder im Zug nach Berlin saß und draußen die Felder und Wälder im Abendrot glühten, dachte ich: Das erste Mal ist wirklich unvergesslich. Und malte mir schon mal aus, wie es sein würde beim nächsten Mal, beim fünfzigsten oder beim hundertsten.

Dieser Text erschien zuerst im Magazin „Tagesspiegel Radfahren“. Es ist ab sofort erhältich - unter anderem im Tagesspiegel-Shop im Verlagshaus am S-Bahnhof Askanischer Platz - oder hier online. Auf 160 Seiten gibt es einen umfassenden Überblick über Freizeitmöglichkeiten mit dem Fahrrad in Berlin, Brandenburg und an der Müritz. Tagesspiegel-Redakteure, Leser und Tourismusexperten haben die schönsten Radtouren für Stadt- und Landentdecker erkundet. Geboten werden 24 spannende Routen mit genauen Karten und Wegbeschreibungen und dazu viele Tipps zu Sicherheit und Neuheiten. "Tagesspiegel Radfahren 2016/17", Preis 8,50 Euro.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false