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Im Schatten der Mauer. Viele Touristen halten den Kiosk von Gerd Glanze nahe der Oberbaumbrücke für einen ehemaligen Haftraum, in dem gefasste Mauerflüchtlinge eingesperrt wurden. Es handelt sich aber nur um ein altes Wachhäuschen der DDR-Grenztruppen.

©  Mike Wolff

Ein Händler an der East Side Gallery: Geschäftsmodell: Mauer

Gerd Glanze betreibt neben der East Side Gallery einen florierenden Handel mit Ost-West-Devotionalien. Mit Originalstempeln, Orden, Mützen und Wimpeln aus der DDR macht er gute Umsätze - und natürlich auch mit Original-Mauerbrocken.

Ein junger Spanier deutet auf den Stift: „How much?“ Gerd Glanze ahnt das Motiv. Der Spanier möchte seinen Namen auf die East Side Gallery kritzeln, wie hunderte andere Touristen jeden Tag. Glanze, der Mann vom „Wall House Berlin“, einem Shop mit Mauermemorabilien, erklärt ihm, das Kritzeln sei verboten, und lässt das Stiftgeschäft sausen.

Die East Side Gallery steht unter Denkmalschutz, aber wer schützt eigentlich dieses Denkmal? Zuständig ist der Bezirk, der hat aber kein Geld. Die Stiftung Berliner Mauer hätte Geld, aber der Miteigentümer Bund weigert sich, noch mehr DDR-Beton zu beaufsichtigen. Nun gibt es mit Monika Grütters (CDU) eine neue Staatsministerin für Kultur. Mit ihr steigen die Chancen für eine Aufnahme der East Side Gallery in die Stiftung. Aber das kann dauern. Vorerst kümmert sich Gerd Glanze um die East-Side-Touristen – wer sonst?

Viersprachige Eigenwerbung auf Postkarten

Vor seinem Kiosk ist das geteilte Berlin zu sehen nebst einem präzisen Todesstreifenquerschnitt. Eine kostenlose Dienstleistung, besonders beliebt bei den Touristenführern, denn offizielle Informationstafeln sind an der East Side Mangelware. Gerd Glanze vertritt hier quasi den Staat. Er tut es gerne, denn er lebt davon. Seine Mauerkarte mit der ehemaligen Sektorengrenze, erschienen im Jahr 2000, sei der erste touristisch verwertbare Mauerplan Berlins gewesen, lobt sich Glanze. Vor der Wende arbeitete der 73-Jährige als Pantomime, mit Theaterengagements in Dresden und Leipzig, anschließend als Unterhaltungskünstler und Conferencier auf kleineren Bühnen. Nach der Wende lief das mit der Pantomime zunehmend schlechter. Glanze entdeckte das Geschäft mit der Mauer, arbeitete mit großem Werkzeug am Checkpoint Charlie und barg ganze Mauerquader, die heute seinen Kiosk füllen. Die kleineren Stücke sind zum Verkauf, die größeren nur zum Staunen. Auf einer selbst gestalteten Postkarte betreibt Glanze viersprachig Eigenwerbung: „Keiner hat so viel Berliner Mauer beseitigt wie Gerd Glanze.“

Im Jahr 1998 fing er als Straßenhändler an der East Side Gallery an, „damals gab es noch Nato-Draht, es roch nach Minen, wilder Landschaft“. Viel interessanter als heute, findet Glanze. Auch das ehemalige Wachhäuschen für den Getreidespeicher an der Oberbaumbrücke, Teil des ehemaligen Osthafens, hatte einen Gruselcharme mit seinen vergitterten Fenstern. Viele Besucher glaubten, hier seien Mauerflüchtlinge eingesperrt worden. Mit Unterstützung des ehemaligen Bezirksbürgermeisters Franz Schulz (Grüne) richtete sich Glanze in dem Wachhäuschen ein, dem „einzigen Festbau in der Mauerlinie“. 2008 renovierte er das Häuschen, ließ einen Künstler die Außenwände mit bekannten Mauermotiven bemalen und versiegelte das Ganze dreifach mit Anti-Graffiti-Schutz. „Die East Side Gallery hat nur einen einfachen Graffitischutz erhalten“, sagt er. Auch deswegen sehe sie jetzt so verwahrlost aus.

Streit mit der Künstleriniative

Geschäftsmann Glanze legt Wert auf die Feststellung, dass sein Kiosk nicht zur East Side Gallery gehört, auch wenn es den Anschein hat. Mit der Künstlerinitiative liegt er über Kreuz, weil er zwei bekannte Motive der Gallery, den Bruderkuss und den durchbrechenden Trabi, zu einem eigenen Mauerbild verwoben hat und auf Tassen und T-Shirts vertreibt.

Mit Originalstempeln, Orden, Mützen und Wimpeln aus der DDR macht Glanze gute Umsätze, natürlich auch mit Original-Mauerbrocken. Warum der Nachschub 24 Jahre nach der Wende immer noch nicht versiegen will, weiß Glanze auch nicht recht zu erklären. Im Internet werde eben fleißig angeboten und verkauft, da dreht sich der Handel immer weiter im Kreis, solange die Preise steigen.

Zu jedem Grenzsouvenir gibt es als Gratiszulage einen kleinen Witz. Glanze nennt das „komödiantische Verkaufstaktik“. Gerne führt er auch in die Irre, wenn mal wieder die Frage kommt, wo denn jetzt das „freie Berlin“ gewesen sei, im Osten oder im Westen? Glanze plädiert für den Osten. Diese These hat mehr Unterhaltungswert. Außerdem habe ihm der kenianische Präsident, als er mal zu Besuch war, das auch so bestätigt.

Und was ist, wenn die Mauerstiftung übernimmt? „Abwarten.“ Glanze gibt sich betont gelassen. Auch die Bauprojekte hinter der Mauer weiter nördlich kümmern ihn wenig. „Weit weg.“ Natürlich lehnt er diese Mauerverschattung ab, aber dagegen demonstrieren? Nee, passt nicht zu ihm. Ganze arrangiert sich lieber, als Barrikaden anzuzünden. Solange er das Wachhäuschen pachten kann und kein Bauvorhaben seine Werbeschilder verstellt, ist alles gut.

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