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Ost-Berliner passieren in der Nacht auf den 10. November 1989 ohne Kontrolle einen Grenzübergang nach West-Berlin.

© picture alliance / dpa

Ein historisches Theaterticket: Tür zu, Tor auf

Mauerfall und Zufall: Am 9. November 1989 lief im International „Coming Out“ und am Ku'damm „Hereinspaziert, die Tür ist zu“. Eine Glosse.

Was am 9. November 1989 im Kino International in der Karl-Marx-Allee los war, ist ja wieder und wieder erzählt worden: Premiere von Heiner Carows Schwulendrama „Coming Out“ mit anschließender Party im Lokal „Zum Burgfrieden“, einem der Drehorte, nicht weit vom Grenzübergang Bornholmer Straße entfernt. Und dort in die promilleselige Stimmung hinein, der Film war schließlich ordentlich beklatscht worden, stürmte plötzlich die Weltgeschichte in Gestalt erst eines, dann weiterer begeistert-entgeisterter Ost-Berliner: „Die Mauer ist auf!“ Die DDR durchlebte soeben, wenn man so will, ihr eigenes finales Coming-out.

Zur richtigen Zeit am richtigen Ort: Zwei Ereignisse, an sich einander denkbar fern, hatten sich gekreuzt, waren plötzlich ebenso zufällig wie passend miteinander verwoben, als hätte sich das jemand mit Sinn für schrägen Humor ausgedacht. In jedem Drehbuch von Rang wäre solch eine Episode zu Recht gestrichen worden, aber die Geschichte hält sich nun mal nicht immer ans Drehbuch, im Osten nicht – und auch nicht im Westen.

Kein Kino, ein Theater, und zwar das am Kurfürstendamm, damals gerade frisch renoviert. Gegeben wird eine Boulevardkomödie von Gérard Lauzier, „eine geballte Ladung Blödsinn“, wie die Kritikerin des Tagesspiegels nach der schon ein paar Wochen zurückliegenden Premiere schrieb. Immerhin gestand sie dem Ensemble um Susanne Uhlen, Herbert Herrmann, Martina Gedeck und Joachim Kerzel zu, der Abfolge doch sehr ähnlicher Szenen um zufällig aus ihrer Wohnung ausgesperrte Nachbarn „komödiantische Effekte“ abgewonnen zu haben.

Kuriose Kapriole der Geschichte

Ein nicht weiter bemerkenswerter Beitrag zu Berlins Theatergeschichte, wäre da nicht der Titel des Stücks, der an jedem anderen Abend nicht weiter aufgefallen wäre, am 9. November 1989 aber schon: „Hereinspaziert, die Tür ist zu“. Wieder so eine unwahrscheinliche Kapriole der Geschichte, in der banaler Alltag und historische Sternstunde eine kuriose Verbindung eingegangen sind, nahezu unglaubwürdig, wäre da nicht das jeden Zweifel ausschließende Ticket jener besonderen Vorführung.

Historisch wertvoll. Das Theaterticket vom 9. November 1989.
Historisch wertvoll. Das Theaterticket vom 9. November 1989.

©  Edda Hartmann

Tagesspiegel-Leserin Edda Hartmann hat es damals aufgehoben und ist jetzt – der 30. Jahrestag jenes Abends naht – wieder darauf gestoßen. Und noch ein Detail ist ihr aufgefallen, das dem Kuriosum quasi die Krone aufsetzt: Sie saß in Reihe 13, Sitz 8. Als wollte sich schon wieder eine im Hintergrund waltende Macht einen Jux machen und am Tag des Mauerfalls noch schnell mal an den des Mauerbaus erinnern, den 13. August 1961.

Edda Hartmann war damals mit einer Nachbarin im Theater. Gegen 22.30 Uhr war Schluss, mit dem Auto, das auf dem Mittelstreifen des Kurfürstendamms geparkt war, fuhren sie nach Hause, nicht ahnend, was gerade an der Bornholmer Straße los war. „Es war noch nichts Ungewöhnliches zu spüren“, erzählt sie. „Eine Stunde später wäre ich von dort nicht mehr weggekommen.“ Als sie und ihr damaliger Mann – er war wegen ihres kleinen Sohnes zu Hause geblieben – dann alles erfuhren, seien sie „sprach- und fassungslos“ gewesen.

Am Tag, als die Mauer gebaut wurde, war sie dreieinhalb Jahre alt gewesen, stand mit ihren Eltern, wie viele andere auch, am Brandenburger Tor. So habe sich ein Kreis an diesem Abend des 9. November 1989 wunderbar geschlossen.

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