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Das Brandenburger Tor in Berlin, angestrahlt mit den Ukraine-Farben.

© imago images/NurPhoto

Ein Jahr Krieg: So erinnern sich Tagesspiegel-Leser an den Tag, an dem Russland die Ukraine überfiel

Am 24. Februar 2022, vor einem Jahr, begann Russland den Angriffskrieg auf die ganze Ukraine. Tagesspiegel-Leser:innen erinnern sich zurück.

Morgen jährt sich der kriegerische Überfall Russlands auf die Ukraine – und wir hatten Sie gefragt: Was sind Ihre Erinnerungen an den Tag?

Josette Hirseland

Sie fragten nach unseren Erinnerungen an den Tag des Kriegsbeginns im vergangenen Jahr. Ich erinnere mich deutlich an diese Zeit. Unser Sohn, 21 Jahre, war im Herbst im Rahmen seines Studiums (Filmwissenschaften an der FU) für ein Auslandssemester nach Kyiv aufgebrochen. Er hatte als Praktikant eine Filmproduktion unterstützt, erkundete die Stadt mit ihrer lebendigen Kunst-, Kultur- und Filmszene, fotografierte, lebte in einer WG mit einem jungen Ukrainer (, der witzigerweise Sean Penn bei seinen Recherchen in Kyiv half), fand Freunde – und eine junge Liebe.

Zehn Tage vor Kriegsbeginn, nach langen Telefongesprächen und dem (ehrlich gemeinten) Angebot, allen ukrainischen Freunden, die ihm am Herzen lagen, einen Schlafplatz zu bieten, hatten wir unseren Sohn überzeugt, gemeinsam mit seiner 21-jährigen Freundin und einem der letzten Flüge nach Berlin zu kommen.

Die Freundin unseres Sohnes hatte Einwände: Sie hatte einen Job, Familie, eine Wohnung und gerade eine Karriere als Schauspielerin gestartet – ihr Film wurde während der letzten Berlinale und auf anderen Filmfestivals gezeigt. Trotzdem fasste sie Mut, ihn am 14.2.22 nach Berlin zu begleiten. Es sollte nur für ein paar Tage sein, bis die Lage sich beruhigt hätte.

Am 20. Februar hatte Yana beschlossen, nach Kyiv zurückzukehren: Ihr Arbeitgeber drohte mit Kündigung. Wir setzten erneut alle Überzeugungskraft ein, boten auch finanzielle Unterstützung an und kamen kurzfristig für die Miete ihrer Wohnung in Kyiv auf. Yana blieb – was für eine Erleichterung! Am 24.02.22 stellte sich heraus, dass es die richtige, vielleicht lebensrettende Entscheidung gewesen war.

Wir begannen alle, uns auf ein längeres Zusammenleben einzustellen. Dass es für so lange Zeit sein würde, war uns damals nicht bewusst. Wenige Tage später zeigte unser Sohn uns ein Foto eines Filmplakats, auf dem Yana abgebildet war. Es hing neben einer zerbombten kyiver U-Bahnstation.

Seitdem hatten wir viel Besuch, manchmal für Wochen, manchmal nur für ein paar Tage von geflüchteten Freunden „unserer“ Kinder als die wir inzwischen sowohl unseren leiblichen Sohn als auch seine Freundin betrachten. Wir haben Schlafmöglichkeiten und sogar Wohnungen für ihre Freunde gefunden, zeitweise zu 6. in unserem kleinen Reihenhaus gelebt. Mein Mann und ich haben das immer als Bereicherung und zugleich enormes Unrecht empfunden, dass uns Menschen im Alter unserer Kinder grausame Fluchterfahrungen schildern.

Derartige Erzählungen gehörten bislang in die Welt unserer Großeltern – nicht in die unserer Kinder! Nach einem Jahr erinnern wir uns intensiv an die Zeit als der Krieg begann und an alles, was die beiden erreicht haben, seit sie sich per Zufall in Kyiv über den Weg gelaufen sind.

Kristina Fischer

Nach einer sehr gemütlichen und schönen Bescherung meines Mannes zu seinem 53. Geburtstag, früh morgens zu Hause, setzen wir uns gemütlich hin und lasen den Tagesspiegel. Wir konnten die Nachricht kaum fassen und waren wie in einer gedämpften Schockstarre. Unser anschließender Geburtstagsbrunch mit unserer Tochter in einem sehr guten Café in Wilmersdorf wurde dann glücklicherweise doch noch ein Genuss, obgleich uns der Angriffskrieg Russlands immer wieder beschäftigte. Und es auch heute noch tut, unfassbar.

Frank Holland

Ich war zu dieser Zeit in einer Reha-Maßnahme und erinnere mich noch sehr gut daran, wie Patienten und Personal fassungslos vor dem Fernseher in der Klinik-Lobby gestanden haben. Wir konnten es nicht glauben, dass sowas in Europa möglich ist.

Drea Berg

Wir sind vor einem Jahr in den Urlaub geflogen, nach Teneriffa. Im Hotel haben wir vom Kriegsausbruch erfahren. Wir hatten einen wunderschönen Urlaub, sahen die Kriegsbilder im Fernsehen, das war völlig surreal.

Wieder zu Hause haben ich aus einem gelben und einem blauen Blatt Papier eine Ukraine-Flagge gebastelt und ins Fenster gehangen. Sie ist mittlerweile ausgeblichen. Ich hätte nie gedacht, dass sie so lange hängt.

Ulrich Berlin

Am 24. Februar bin ich, wie immer an Arbeitstagen, um sechs Uhr aufgestanden, um Kaffee für mich und die Familie zu machen. Sie sollte, ebenfalls wie immer, um halb sieben geweckt werden. 

Bis dahin also alles wie immer. Als ich mich dann aber um Viertel nach sechs mit meinem Kaffee auf die Couch begab und das Morgenmagazin einschaltete, wurde ich aus meiner schönen Routine herausgerissen. Im Fernseher sah ich Bilder von Krieg, grell leuchtend und laut. Bilder, die ich eigentlich nicht mehr sehen wollte, vor allem in Europa nicht.

Klar, das hat sich irgendwie angedeutet – aber wenn es dann so weit ist, kann man es nicht glauben. So ging es mir an diesem Morgen. Bis heute, ein Jahr nach Beginn des Kriegs.

Dieter Elstermann

Wir waren in Namibia in Swakopmund, haben den ganzen Tag Info-Radio vom RBB gehört. Am meisten schockiert waren wir, wie einige „Deutsch Süd-Wester“ das kommentiert haben. „Endlich schlägt der Putin mal richtig zu, gut dass er endlich die Muskeln spiegeln lässt“. Es war unerträglichem zuzuhören und auf einen Vergleich Putin-Hitler reagierten sie so aggressiv, dass ich die Diskussion abbrach und das Weite suchte.

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