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Staatlich geehrt: Verkehrssenator Herwig Haase (CDU) heftet Hans von Przychowski 1992 das Bundesverdienstkreuz ans Revers.

© Stefan Nowak

West-Berliner Pressegeschichte: Ein Leben wie im Fluge – Hans von Przychowski wird 95

Er war Chef vom Dienst, gehörte zur Redaktionsleitung des Tagesspiegels – und ging Jahrzehnte lang seiner eigentlichen journalistischen Leidenschaft nach.

„Über den Wolken“ hätte durchaus der Soundtrack seines Lebens sein können, wäre er nicht bei aller Flugbegeisterung überaus bodenständig geblieben, mehr an Fakten als an Gefühlen orientiert. „Pschowski“ meldet er sich knapp am Telefon, Zeit hatte er nie, irgendein Andruck stand immer unmittelbar bevor – aber die berühmten drei Türen seines Büros im Tagesspiegel blieben dennoch offen für all jene, die Substanzielles zur Arbeit bei der Zeitung beizutragen hatten. 1991 zog er sich aus der Redaktionsleitung zurück, blieb der Redaktion aber immer verbunden, viele Jahre auch als gelegentlicher Autor. Am Sonntag feiert Hans von Przychowski seinen 95. Geburtstag.

In der Redaktion hieß er, naheliegend, „Psycho“. Ein Jux – denn sein stabiler, immer zwischen Jovialität und professioneller Präzision pendelnder Geisteszustand trug ihn zuverlässig über die Klippen seines Amtes. Der Ur-Berliner kam 1954 zum Tagesspiegel, wuchs 1971 in das Amt des Chefs vom Dienst, verantwortlich für die heikle Schnittstelle zwischen Redaktion, Verlag und Technik, die Übersicht und hohe organisatorische Fähigkeiten verlangt – und den Abschied von schreiberischem Ehrgeiz sowieso, denn dafür bleibt einem ordentlichen CvD keine Zeit.

Hans von Przychowski allerdings schrieb weiter, verband Leidenschaft fürs Thema weiterhin mit strikter kritischer Distanz. Denn schon 1957 hatte er für die Zeitung die Flugseite erfunden, ein Unikum in der deutschen Presselandschaft. Das war natürlich keine Technik-Seite, in der es zentral um Propeller und Leitwerke gegangen wäre, sondern eine hochpolitische Angelegenheit, deren Bedeutung sich schon aus der Lage West-Berlins an den Nabelschnüren der Luftkorridore ergab.

Ein Auftrag einer imperialistischen oder anderer feindlicher Stellen ist nicht auszuschließen.

Stasi-Einschätzung über Hans v. Przychowski

Das sah man auch bei der Stasi nicht anders, die den Tagesspiegel und seine Mitarbeiter über Jahrzehnte als „feindliches Organ“ im Visier hatte und Hans von Przychowski intern so adelte: „Er tritt fortgesetzt in westlichen Medien mit Veröffentlichungen über spezifische Probleme der zivilen DDR-Luftfahrt in Erscheinung, die den politischen und ökonomischen Interessen der DDR widersprechen. Ein Auftrag einer imperialistischen oder anderer feindlicher Stellen ist nicht auszuschließen“.

Mit dieser Einleitung wurde der „Operative Vorgang Journal“ eröffnet, das volle Überwachungsprogramm mit Postkontrolle, Abhören und Ansetzen von Spitzeln. Allerdings kam diese Entdeckung zu spät für eine möglicherweise gefährliche Umsetzung, denn wenig später fiel die Mauer.

Zu diesem Zeitpunkt war HvP schon ein paar Jahre lang über seine eigentliche Funktion hinaus auch Mitglied der Chefredaktion in einer Zeitung ohne Chefredakteur; Günter Matthes und Joachim Bölke waren die beiden anderen. Ende März 1991 schieden alle drei aus dem aktiven Dienst aus, Herrmann Rudolph übernahm die Chefredaktion. Es wird den Flugexperten geschmerzt haben, dass seine Flugseite, rund 400-mal erschienen, bei den zahlreichen Umbauten des Blattes verschwand. Es mag ihn auch geschmerzt haben, dass der Flughafen Tempelhof abgeklemmt wurde, den er von seiner Wohnung am Tempelhofer Damm über Jahrzehnte beobachtet hat – und es noch heute tut.

Dennoch äußerte er sich immer wieder im Blatt zu Flugthemen, steuerte 2003 sogar nach einer privaten Reise Lebenserinnerungen an ein französisches Dorf bei, in dem er sich 1947 als Kriegsgefangener aufgehalten hatte. 1992 wurde er mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet (siehe Foto, Przychowski links). Seinen Geburtstag feiert er im Familienkreis mit den beiden Töchtern, hat Enkel und Urenkel – und darüber hinaus immer noch Kontakt zu ehemaligen Tagesspiegel-Mitarbeitern, geistig fit und mit nicht mehr als den altersüblichen Einschränkungen. Der Tagesspiegel gratuliert ihm herzlich zum heutigen Ehrentag.

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