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Berlin: Ein Traum von Thalasso

Vor 100 Jahren lockte Sommerfeld Flachländer mit Alpen-Architektur. Heute ist das Angebot wichtiger

So manche neue Idee der Wellnessbranche kann beim genauen Betrachten durchaus als alter Hut gelten. Dazu gehört etwa die Wirkung einer romantischen und anheimelnden Umgebung auf das menschliche Wohlbefinden. Lange, bevor Hotels und Thermalbäder Anleihen bei chinesischen Pagoden, türkischen Bädern oder buddhistischen Tempeln machten, hatten vor fast 100 Jahren kluge Köpfe im Rathaus des damals noch selbstständigen Charlottenburg eine geniale Idee: Das nördlich der Großstadt im kleinen Sommerfeld geplante Sanatorium sollte den Tuberkulose-Kranken nicht nur durch rauch- und staubfreie Luft Linderung und Heilung bringen. Architekt Heinrich Seeling schlug vor, eine dörfliche Alpenidylle nachzubauen – und fand Zustimmung. Die meist sozial schwachen Patienten, so dachte man, könnten sich nie eine Spezialklinik in Höhenlage leisten. Doch sie könnten sich in Sommerfeld im entsprechenden Ambiente wie in den Alpen fühlen und viel schneller gesunden.

Der Trick im zwischen 1912 und 1914 gebauten „Waldhaus Charlottenburg“ gelang. In den achtziger Jahren erhielt das Gelände vom Volksmund den Namen Schwarzwaldklinik, natürlich nach der gleichnamigen ZDF-Serie. Auch das verfehlte seine Wirkung nicht, wird jedenfalls berichtet.

Mittlerweile lassen sich die Menschen nicht mehr so leicht von einer Alpen-Kopie verzaubern. Da muss es wie im nicht weit von der jetzigen Hellmuth-Ulrici-Klinik befindlichen Ringhotel am See schon gleich fernöstlich oder wie am Meer zugehen. Der Effekt bleibt der gleiche: Der Gast kann sich auf der Massageliege oder im Aromaöl-Bad in andere Welten träumen.

Bei derart enger Nachbarschaft zwischen einer Klinik, die sich heute unter anderem auf operative und nicht operative Orthopädie und Schmerztherapie spezialisiert hat, und einem der besten Brandenburger Wellnesshotels lag ein gemeinsames Projekt auf der Hand. „Wir wollen Sommerfeld mit weiteren Partnern zum staatlich anerkannten Erholungsort machen“, sagt Hotelinhaber Detlef Naujokat. An der guten Luft am Rande des Rhinluchs habe sich schließlich seit den Sanatoriumszeiten nichts geändert. Es gebe ausgeschilderte Rad- und Wanderwege. Außerdem sei kein anderer Erholungsort in der unmittelbaren Umgebung Berlins so gut mit dem Zug und dem Auto zu erreichen.

Allerdings vermisst der Gast, sei er nun Patient in der Klinik oder Besucher des Hotels, noch Möglichkeiten zum Bummeln. Das Ortsbild könnte eine Verschönerungskur vertragen, zumal das Zentrum immer noch die Bauruine eines Einkaufsmarktes aus den neunziger Jahren verschandelt. „Für den Status eines Erholungsortes nehmen wir uns viel Zeit, mindestens drei Jahre“, sagt Naujokat.

In dem direkt am Beetzer See gelegenen Hotel vergisst der Wellnessgast den Alltag ohnehin schnell. Zum Beispiel bei einer fernöstlichen Klangschalen-Massage. Die Schwingungen der auf verschiedene Körperregionen gelegten Schalen sollen Verkrampfungen und Blockaden lösen. Eine Aromaöl-Massage verstärkt die Wirkung. Am nächsten Tag ist dann vielleicht eine Behandlung mit heißen Steinen und warmem Öl für die Schmerzpunkte dran, eine Ayurvedische oder Thailändische Massage. Wer das alles schon aus anderen Hotels und Thermen kennt, kann eine Lomi-Lomi-Nui-Massage buchen – eine in Tempeln auf Hawaii entdeckte sanfte Bearbeitung des Körpers. Ein oder zwei Masseure bearbeiten den Körper mit dem sanften Druck ihrer Unterarme oder Ellbogen.

In andere Welten versetzt fühlt man sich auch beim Thalasso, jener Lehre von der Heilkraft des Meeres, die aus dem Griechischen stammt . Eigentlich müssten sich die Gäste dazu wirklich an eine Küste begeben, um die großen Potenziale des Meerwassers an Spurenelementen, Vitaminen, Proteinen, Mineralstoffen und Aminosäuren zu nutzen. Doch die Gesundheits- und Kosmetikbranche hat den Effekt mit authentischen Produkten längst auch ins Binnenland getragen. Thalasso-Anwendungen gelten als bewährtes Mittel gegen Stress, Übergewicht, Cellulite und Schlafstörungen, Kreislauf- und Stoffwechselstörungen, Rheuma- und Gelenkbeschwerden.

Natürlich zählt auch bei Thalasso die Kraft der Imagination. Wenn die dunkle Algenpackung aufgetragen wird, fühlt man sich wie in Schokolade gehüllt. Aber natürlich kann man auch in echter Schokolade baden. Dann steht noch ein Päckchen zum Aufessen neben der Wanne. „Für den Notfall, wenn die Sehnsucht nach einem Biss in eine schöne Tafel doch zu groß wird“, sagt eine freundliche Helferin.

Sommerfeld könnte mit seiner Klinik und dem Ringhotel zum Vorreiter für einen neuen Branchenzweig werden, Stichwort „Medical Wellness“. In Hotels und Thermen mit solch einem Zertifikat erhalten die Gäste nicht nur die üblichen Anwendungen, sondern auch eine medizinisch fundierte Betreuung. Die Prävention steht im Vordergrund, man will die Motivation für ein gesundheitsbewusstes Leben fördern. Eine Lösung für Selbstzahler. Dieser „Gesundheitstourismus“ hatte schon Vorläufer im Sommerfelder Sanatorium. „Licht-Luft-Kuren“ erhielten Patienten zur Stärkung des Organismus. Die Werbung für den „Alpen-Kurort“ besorgten dann sie – wenn sie Familie und Freunden von ihren Wohlfühlerlebnissen erzählten.

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