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Engelgleicher Weihnachtszauber in Charlottenburg.

© Thilo Rückeis

Rundgang Weihnachtsmarkt am Schloss Charlottenburg: Ein weihnachtliches Gesamtkunstwerk

Der eine lässt das Karussell kreisen, die andere gibt den Rauschengel. Ein Tag auf dem Markt am Schloss Charlottenburg.

Um halb acht entscheidet Zaza, der Mann für die Technik, dass das Miniriesenrad mit seinen acht Gondeln genug Runden für heute gedreht hat. „Da muss ein Spezialist ran“, sagt der aus Georgien stammende Berliner nach einem strengen Blick in den Sicherungskasten. Der Karussell-Oldtimer hat schon mehrfach die Beleuchtung an der Westflanke des Weihnachtsmarktes am Schloss Charlottenburg lahmgelegt. Da helfen dann die „Engel des Lichts“ auch nicht mehr weiter. Aber dazu später.

Was ist ein Weihnachtsmarkt? Mögliche Antworten: Menschengewusel, Glühweinduft, Budenzauber, Musikberieselung, Weihnachtsmänner, die Nikoläuse verteilen. Tommy Erbe schüttelt den Kopf. „Ich hatte noch nie Weihnachtsmänner, so was Piefiges.“ Für Erbe ist Weihnachtsmarkt ein Gesamtkunstwerk, die Illusion einer perfekten Welt, eine logistische Ausnahmeleistung, auf die er sich fast ein Jahr vorbereitet. Statt Weihnachtsmännern treten bei ihm sechs weibliche Rauschengel an, perfekt geschminkt, von einem Kostümdesigner mit beigem Mantel, weißer Kappe, langen Stiefeln und Spitzen-Applikationen ausgestattet.

Die Engel sind junge Studentinnen der Germanistik, extra aus Kiew angereist, um Spenden für ukrainische Waisenkinder zu sammeln und den Weihnachtsmarktbesuchern das Licht der Adventszeit zu bringen. Erst steckt das Licht nur in ihren kleinen Laternen, die sie wie ein Schatzkästlein vor sich hertragen, dann springt der Funke auf die Lichterketten über – alles nur symbolisch – und schließlich erreicht es die Schlossfassade. Videomapping, Malerei mit dem Lichtpinsel, hat dieses Jahr Premiere, das hat sich Tommy Erbe beim Festival of Lights abgeguckt.

Dieter Buch an der Schiffschaukel.
Dieter Buch an der Schiffschaukel.

© Thilo Rückeis

Vier Wochen im Advent sind der Kern von Erbes Unternehmen, vielleicht sogar so etwas wie sein Lebenswerk. Zehn Jahre habe er um die Erlaubnis der Schlösserstiftung gekämpft, ihm ein paar Tausend Quadratmeter vom Vorplatz auszuleihen. Der Weihnachtsmarkt am Schloss ist seine Erfindung. Da muss alles klappen. Erbe ist Perfektionist und wacht jeden Tag persönlich über das Gelingen.

In einem Container hat er sein Mini-Büro mit Stuhl und Schreibtisch eingerichtet, im Backstagebereich, dort, wo kein Besucher hinkommt. Wo es gar nicht nach Glühwein duftet, allenfalls nach frisch geschmierten Salamibrötchen für die Belegschaft, insgesamt 100 Leute, deren Einsätze ein komplizierter Schichtplan regelt, der nebenan im Container der „Marktleitung“ hängt. Dort müssen alle Marktleute morgens zum „Check-in“, damit Erbe weiß, dass sie da sind.

Ein Dutzend Container stehen hinter den Sichtschutzwänden des Marktes, dazwischen ein paar Holztische für die Raucher. Hier machen die Engel und Musiker Pause, hier wartet Erbes schnelle Eingreiftruppe um Zaza auf den nächsten Einsatz. Das kalte, trockene Wetter ist günstig für den Weihnachtsmarkt. Da fällt schon mal das Schneeräumen und Pfützenabsaugen weg. Pfützen und Schneematsch passen nicht zum gepflegten Image des Marktes.

Gegen Mittag macht Erbe seine Tour über den Platz, grüßt jeden Standbetreiber, schaut, ob die Mülleimer geleert und die Sandflächen geharkt sind. Überall herrscht penibelste Sauberkeit. Wenn wochentags gegen 14 Uhr die Stände öffnen, beginnen zwei Müll-Läufer mit stilgerechten Blecheimern und Zange ihre Schicht. Jede Zigarettenkippe wird aufgehoben, selbst im Backstagebereich bleibt kein Papierschnipsel unentdeckt.

Luke Müller am Lachsgrill.
Luke Müller am Lachsgrill.

© Thilo Rückeis

Am frühen Morgen war eine Drohne über das Gelände geflogen. Erbe rief bei der Polizei an und erfuhr, dass sie in ihrem Auftrag unterwegs war, um die Marktfläche genau zu vermessen. Wegen der erhöhten Sicherheitsmaßnahmen liegt Erbe mit den Behörden im Bezirk über Kreuz. Das Grünflächenamt wollte ihm vorschreiben, 75 Betonpoller aufzustellen und dafür die Kosten zu übernehmen, Erbe klagte dagegen beim Verwaltungsgericht. Gegen den alten Mannschaftswagen der Polizei kann er aber nichts unternehmen. Der steht quer vor dem Haupteingang als Terrorschutz. Genau dort hatten Hobbyfotografen immer das perfekte Gesamtpanorama von Weihnachtsmarkt und Schlosskulisse eingefangen. Geht nun nicht mehr.

Alle zwei Stunden treten die Weihnachtsengel vor der Polizeiwanne an, um dann synchron Richtung Schloss zu schreiten. Vor dem Eingang zum Ehrenhof machen sie kehrt, damit die Besucher sie vor dem Schlosstor fotografieren können. Die Blasmusiker spielen jetzt Weihnachtslieder, in klassische Wollmäntel gekleidet. Kunststoffe sind bei Erbe verpönt. Und Musik vom Band erst recht.

Die 30 Blasmusiker kommen aus Berlin und vom Stadtorchester Lemberg. Früher haben sie beim Militär trompetet, jetzt sind sie „emeritiert“, sagt der Anführer der Ukrainer. Wenn sie eingeladen werden, spielen sie in Polen, Weißrussland oder eben in Berlin. Das Spielen in der Kälte sei für sie normal. Wenn die Mechanik einfriert, schüttet man einfach etwas Wodka in den Schalltrichter. Und die Adventszeit samt Heiligabend in Berlin zu verbringen, ist das nicht traurig? Die Dolmetscherin, zugleich Assistentin von Erbe, lacht. Das orthodoxe Weihnachtsfest ist ja erst am 6. Januar.

Musiker aus Berlin und der Ukraine.
Musiker aus Berlin und der Ukraine.

© Thilo Rückeis

Eine Attraktion auf dem Markt ist der eiserne Lachsgrill, eine Konstruktion aus Finnland. Der Fisch gart über einem offenen Buchenholzfeuer. Dazu gibt es finnischen Glühwein, Glöggi, aus einem großen Kupferkessel. Der Chef hier, Luke Müller, tourt im Sommer als „Outdoor-Akrobat“ auf Stuntshows. Da ist so ein ruhiger Advents-Job am Grill mal eine nette Abwechslung.

An der alten Schiffschaukel, dem zweiten Karussell-Oldtimer, hat Dieter Buch das Sagen, Berliner Schausteller in zweiter Generation. Jedes Kind darf bei ihm vier Minuten lang schaukeln, kostenlos, ein Lockangebot. Nachmittags kommen die Mütter mit ihren Kindern direkt von der Kita und stellen sich in die Warteschlange. „Sind alle sehr diszipliniert“, lobt Buch, eben typisch Charlottenburger Publikum.

Der Mann in Gelb ist dagegen etwas genervt, nicht nur wegen der auffälligen Jacke, die noch das alte Logo einer alten Firma von Erbe trägt. Er ist zum ersten Mal dabei, hat den „so ziemlich dämlichsten Job erwischt, den man hier haben kann“. Er passt auf, dass niemand die Lieferanteneinfahrt zuparkt. Hier sollen im Notfall die Krankenwagen reinfahren. Lieber wäre er Läufer geworden, sagt er, die müssen den Nachschub zu den Verkaufsständen bringen – gerade krächzt es aus dem Funkgerät, das an seiner Jacke baumelt: „Wir brauchen einmal Käse-Himbeer-Torte“.

Abends macht Daniel Fromm, ein schlaksiger Musiker, Pause am Ungarischen Gasthaus, das von einer Truppe aus Thüringen gemanagt wird. Er raucht und plaudert mit den Kollegen. Privat würde er nicht auf Weihnachtsmärkte gehen, aber das Arbeiten hier, die „meditative Monotonie“, findet er gut. Es ist jedes Jahr ein großes Treffen mit den Kollegen, die alle noch ein anderes Leben führen. Jedes Mal sagt er sich danach, das war’s, aber wenn die Zeit näher rückt, zieht es ihn doch wieder ans Schloss, hinter die Theke. Die Kunden machen Scherze, niemand mault rum, wenn er mal warten muss, keiner meckert über zu hohe Preise. Das macht Laune.

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