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Berlin: Eine Marktlücke: französisch-avantgardistisch

Man kriegt ja Angst, allmählich. So viele Köche!

Man kriegt ja Angst, allmählich. So viele Köche! So viele gute Köche! Wollen die am Ende Paris und London auf einmal in die Tasche stecken? Oder essen sie sich einfach gegenseitig auf? Nimmt man die kulinarische Entwicklung Berlins genau und rechnet mal durch, dann lastet praktisch auf jedem zahlungsfähigen Bewohner der Stadt die Pflicht, einmal wöchentlich essen zu gehen, und zwar sechs Gänge plus Champagner und Chateau de luxe. Gerade hat Meister Rockendorf die Ärmel wieder hochgekrempelt, Bühlerhöhe-Müller will das kränkelnde "Adermann" auf Gourmet-Kurs trimmen - es fehlt eigentlich nur noch ein leibhaftiger Drei-Sterne-Zauberer, um die einst so schwachbrüstige Gastronomie Berlins auf Weltniveau zu wuppen.

Einer, der dabei mitreden will, ist Michael Hoffmann, der Küchenchef im neuen "Margaux", einst Sous-Chef bei Witzigmann, in Hamburg zu Ruhm und Ehre gekommen und also zweifellos ein Könner. Er hat überraschenderweise sogar eine Art Marktlücke gefunden: keine mediterrane Küche mit thailändischen Einflüssen, auch keine gänsestopfleberne Klassik mit Entenpresse und Gobelins, sondern französisch-avantgardistisch, jenseits der neuen Sachlichkeit des "Vau" und der altväterlichen Eleganz im "Lorenz Adlon".

Wäre Hoffmann Komponist und nicht Koch, dann hieße die Tonlage seiner Werke garantiert nicht C-Dur, sondern wäre irgendwas mit sehr vielen Kreuzchen und kunstvoll drapierten Dissonanzen. "Frikassee vom Sevruga-Stör mit Creme Fraiche und Meersalz abgeschmeckt, Schalottencrouton, Sauce von Eigelb und Olivenöl, Schnittlauch-Beurre-blanc, 10 g Imperial-Kaviar" heißt eines dieser ungeheuer preziösen, raffiniert orchestrierten Gerichte - die dünn gebackenen Kartoffelscheiben obendrauf wurden noch nicht einmal erwähnt. All das schmeckt glücklicherweise weniger kompliziert, als es klingt. Und es schmeckt vorzüglich. Nur einmal, beim vergleichsweise einfach konzipierten Loup de Mer mit weißen Bohnen und Olivenöl, fehlte der Clou; wahrscheinlich hätte ein Spritzer Zitrone schon gereicht.

Hoffmann hat eine auffällig starke, wohl ein wenig übertriebene Neigung zum Gelierten. Vornweg gibt es einen Löffel mit Gänseleber und Tomatengelee, gleich danach gebeizten Saibling auf Joghurt mit Spargelgelee, das Menü startet mit einem Geflügelgelee mit dicken Bohnen und Trüffelvinaigrette. Gegen jede einzelne Zubereitung fanden wir indessen nichts einzuwenden. Köstlich meeresfrisch der Petersfisch mit Limone, Austern und Kalbsjus, vegetarisch perfekt die marinierten Kräuter im Nudelblatt mit (leider verschwindend dünnem) Spargel, knusprig und dennoch sehr saftig das Rotbarbenfilet mit Kartoffel- und Spinatcreme, Marksauce und Rotwein. Vom Lamm macht Hoffmann fünf verschiedene Zubereitungen, vom Zicklein nicht viel weniger: Ein Menügang bestand aus geschmorter Schulter mit Artischocken und Olivenpolenta, den Innereien in reizvoller, fast asiatischer Orangensauce und einem "Königsberger Klops" aus Zickleinfleisch. Schließlich die aromatische Mieral-Taube aus dem Elsass, die hier eine Art Leitmotiv darstellt und in Varianten vorkommt: diesmal gefüllt mit Sellerie und Orangen, umgeben mit kleingehackten Taubeninnereien und einer recht mächtigen Fleischfond-Bearnaise ("Sauce Foyot") plus karamelisiertem Spargel.

Das Hochartifizielle dieser Küche ist, wenn man so will, auch ihre Schwäche: Man kann diese entfesselte Kombinatorik bisweilen gekünstelt, vom Ideal größtmöglicher Vereinfachung weit entfernt finden - das ist eine Geschmacksfrage, aus der ich mich heraus halte. Bei den Desserts geht es dagegen überraschend simpel zu: Champagnereis mit Champagnergelee, Buttermilchcreme mit Passionsfruchtsorbet und marinierter Ananas, feines Gebäck, alles gelungen und sommerlich leicht, aber (noch?) ohne den ehrgeizigen Anspruch der anderen Gerichte.

Den Service leitet ein guter Bekannter: Ralf Fränkel war schon in so vielen Berliner Restaurants am Werk, dass hier absolut nichts schief gehen kann - schlimmstenfalls sind bei wenig Betrieb schlicht zu viele Kellner unterwegs. Der nobel und kenntnisreich agierende Sommelier Rakhshan Zhouleh hat eine Ehrfurcht gebietende Weinkarte mit hohen, aber nicht überhöhten Preisen aufgelegt, die in Sachen Frankreich keinen Wunsch offen lässt, es sei denn, nach mehr gereiften Jahrgängen. Überraschungen fehlen noch, aber im Gespräch lässt sich durchaus noch Ergänzendes finden, auch glasweise zu den einzelnen Gängen.

Ja, Leute, wir sind im neuen Berlin angekommen, und dort gibt es keinen Rabatt mehr. Die Menüs kosten 146 (vier Gänge) und 198 Mark für sechs Gänge, à la carte sind für die Vorspeisen um 35, für die Hauptgänge um 60 Mark fällig. Das spiegelt vor allem den hohen Arbeitsaufwand, die mindestens ebenso hohe Miete in der 1-a-Lage und die luxuriöse Einrichtung mit Onyx und Blattgold satt. Die Küche Hoffmanns rechtfertigt die Preise. Er meldet seinen Anspruch, an der Spitze mitzumischen, sehr deutlich an.Margaux, Unter den Linden 78 (Ecke Wilhelmstraße), Mitte. Täglich von 12 bis 15 und ab 18 Uhr, sonntags geschlossen. Tel.: 2265 2611. Alle Kreditkarten.

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