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Niedergelegte Blumen am Fundort der ermordeten Susanne Fontaine

© Thilo Rückeis

Prozess um Tiergarten-Mörder: "Eine zutiefst antisoziale Person"

Lebenslang für den Mörder von Susanne Fontaine. Das Gericht sieht in dem 19-jährigen Tschetschenen einen hoffnungslosen Fall – und verurteilt ihn deshalb nicht nach Jugendstrafrecht.

Von Fatina Keilani

Klaus Rasch spricht nur kurz, er setzt die Worte mit Bedacht, spricht leise, aber deutlich. „Dort sitzt ein Mensch, der das schlimmste Verbrechen überhaupt begangen hat: Er hat einem anderen Menschen das Leben genommen. Dieser Mensch war meine Frau.“

Seine Frau Susanne Fontaine ist am 5. September 2017 im Tiergarten ermordet worden, nach einem Treffen mit Freundinnen im Biergarten, und ihr Mörder, davon ist die 18. Kammer des Landgerichts überzeugt, ist der damals 18-jährige Ilyas A., ein russischer Staatsbürger tschetschenischer Abstammung. Das Gericht verhängte gegen ihn am Montag lebenslange Haft.

Die Verteidigung hatte am Vormittag Freispruch gefordert. Verteidiger Valentin Babuska arbeitete nochmals die Schwächen der Indizienkette heraus, sprach von deren Ambivalenz und davon, dass die Indizien zu beiden Tatvarianten passen, weswegen freigesprochen werden müsse. Variante eins war die Mordversion gewesen, Variante zwei die Darstellung des Angeklagten, er habe, als er sich ins Gebüsch erleichtern wollte, die Frau dort liegen sehen und sie nach Wertsachen durchsucht, um diese zu stehlen. Getötet habe er sie aber nicht.

Ein aussichtsloser Fall

Der Angeklagte hatte dies im Verfahrensverlauf nur als Erklärung verlesen lassen; er weigerte sich jedoch, Fragen des Gerichts zu beantworten und äußerte sich ansonsten gar nicht. Dies mindere den Wert seiner Einlassung erheblich, führte der Vorsitzende Richter Ralf Vogl bei der Urteilsbegründung aus.

Dieses Verhalten kennzeichnet den Angeklagten. An ihm haben sich alle die Zähne ausgebissen, er flog aus acht verschiedenen Institutionen der Jugendhilfe, war für kein Angebot zu erreichen, und sogar die Jugendgerichtshilfe hält ihn für einen aussichtslosen Fall. Richter Vogl: „Er ist heimat- und beziehungslos, hat keine Perspektive, mit ihm ist nicht zu arbeiten, er ist antisozial und nicht bereit, sich zu ändern.“ Deshalb auch die Anwendung des Erwachsenenstrafrechts auf den noch recht jungen Mann, der vor dem Gesetz ein Heranwachsender ist.

Wenn es keinerlei Aussicht gibt, dass ein Mensch noch reift, sich weiterentwickelt, dass er sich bessern könnte – dann ist nicht mehr das Jugendstrafrecht einschlägig, bei dem der Erziehungsgedanke im Vordergrund steht. Das ganze Streben von Ilyas A. bestand offenbar darin, Geld und Wertgegenstände zu erbeuten. Seine Verteidigerin Eva Steiner hatte zwar allen Ernstes das Gericht aufgefordert, seine vorangegangenen Taten auszublenden, da er die Strafen verbüßt habe, aber das Gericht hielt sich daran nicht.

Sein Opfer hatte keine Chance

Er ist für vier Raubtaten vorbestraft, die alle nach demselben Muster abliefen: Ilyas A. suchte sich schwache Opfer, meist alte bis sehr alte Menschen – die älteste beraubte Frau war 98 Jahre alt – überfiel sie von hinten, ging äußerst brutal vor und raubte die Handtaschen. Dem selben Muster folgte er bei Susanne Fontaine. Sie war das jüngste und wohl wehrhafteste seiner Opfer, dennoch hatte sie nach den Feststellungen des Gerichts keine Chance. Ilyas A. ist groß und kräftig, hat Boxsport betrieben und Mixed Martial Arts, eine Kampfsportmischung, bei der man den Gegner bis zum K.o. tritt und schlägt.

Sie müsse sich gewehrt haben, so das Gericht. Die deutlichste DNA-Spur fand sich an ihrer linken Handkante; diese muss im Kampf am Mund des Täters gelandet sein. Weitere Spuren fanden sich an den Fingern, dort, wo die 60-Jährige Goldringe trug, die Ilyas A. von der Hand zu ziehen versuchte, was ihm jedoch nicht gelang. Auch wenn nicht alle Fragen geklärt werden konnten, ist nach Überzeugung des Gerichts A. der Täter. Er habe sich seinem Opfer von hinten genähert und sofort massive Gewalt angewendet.

„Er fasste Susanne Fontaine mit seinen Oberarmen um den Hals und zog sie ins Gebüsch, damit es niemand sieht“, sagte Richter Vogl. Sie ging durch Sauerstoffmangel zu Boden, er kniete sich auf ihren Rücken und strangulierte sie minutenlang, bis sie starb. Dann drehte er die Leiche auf den Rücken und versteckte sie in dichtem Buschwerk, nahm Handtasche und Smartphone mit und ging. Als Mordmerkmale sah das Gericht Habgier, Heimtücke und Ermöglichung einer anderen Straftat als gegeben an. Es sei nur um Beute gegangen. Sexuell vergangen hat er sich an seinem Opfer nicht.

War der Mord Staatsversagen?

Die Handtasche warf er kurz darauf weg, für das Telefon kaufte er eine neue Sim-Karte. Als er sich kurz vor der polnischen Grenze ins Mobilfunknetz einloggte, wurde er von der Polizei geortet und geschnappt.

Die Leiche lag tagelang im Gebüsch und wurde zunächst nicht gefunden – und das, obwohl Mantrailer-Hunde eingesetzt wurden und auch der Ehemann selbst das Gelände mehrfach absuchte. Spaziergänger fanden die Leiche Tage später, weil die Hand aus dem Gebüsch herausragte.

„Ich halte ihn für eine sehr gefühlskalte Person, und wie er meine Frau umgebracht hat, das ist grausamer, als jemanden zu erschießen. Es ist ja eine sinnliche Erfahrung, so lange zuzudrücken, bis jemand sich nicht mehr regt“, sagte der Witwer nach der Verhandlung. Klaus Rasch war 40 Jahre mit seiner Frau zusammen. „Wir sind zusammen dieses Leben angegangen“, sagte er, stockte dann, erkennbar berührt, und brachte hervor: „Und plötzlich war es zu Ende.“ Wäre Ilyas A. so wie vorgesehen pünktlich abgeschoben worden, würde Susanne Fontaine noch leben. Ihr Mann hält dies für Staatsversagen.

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