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© ullstein - Uhlenhut

Jubiläum: Einsame Spitze: Berlins schönster Aussichtspunkt wird 40

Am 3. Oktober wird der Fernsehturm am Alexanderplatz 40 Jahre alt.

Der pure Zufall und Walter Ulbrichts Terminkalender wollten es, dass der „Fernseh- und UKW-Turm der Deutschen Post Berlin“ just am 3. Oktober 1969 offiziell eröffnet wurde: Als gewissermaßen millionenschwere Gabe stand die monströse Betonröhre, unübersehbar in der Mitte Berlins, auf dem Gabentisch zum 20. Geburtstag der DDR. Dass 21 Jahre später genau dieses Datum zum Staatsfeier-„Tag der deutschen Einheit“ werden sollte, ahnte damals niemand, und so haben nun beide ihren Feiertag, das neue Deutschland und sein höchstes Bauwerk.

Der Turm wird 40, und er feiert sich selbst an diesem Tag, zwischen 9 und 24 Uhr, mit einer Reise in die Vergangenheit. „Jeder ist uns willkommen, wir sind offen für alle“, sagt Christina Aue, die Geschäftsführerin der TV-Turm-Gastronomiegesellschaft. Bei diesem kleinen Volksfest 207 Meter über der Stadt möchte man sich ein wenig auf die Schippe nehmen: Die Speisekarte von dazumal wird mit nostalgischer Soljanka, mit Steak ou four oder dem kulinarischen Dauerbrenner Ragout fin wiederbelebt, und die DDR-Sitte des Platziertwerdens findet noch einmal unter großem Gekicher des Personals und dem mäßigen Beifall des Publikums statt: Wieder wird dem Gast jemand an den Tisch gesetzt, irgendwann kommt das Signal: Halten Sie bitte jetzt Ihr Geld bereit! Und nach einer Stunde muss, wie damals, der Platz an der Sonne für den nächsten Turmgaststättengast geräumt werden.

Unten läuft derweil ein filmischer Rückblick auf Höhepunkte der letzten 40 Jahre, „wir holen die Meilensteine raus“, sagt die Turmchefin – der belichtete Tower beim Festival of Lights, die Kugel als Fußball, der mit Liebesbotschaften übersäte Schaft und Hochzeiten zwischen Himmel und Erde hoch über dem Alex.

Dabei hatte es ganz woanders angefangen. Ursprünglich sollte ein für die Verbreitung des DDR-Fernsehens notwendiges Bauwerk in den Müggelbergen entstehen, bis man diesen Plan verwarf, da der Turm in der Einflugschneise von Schönefeld gestanden hätte. Plan Nr. 2: am Rande des Volksparks Friedrichshain. Das scheiterte an organisatorischen Gegebenheiten. Die dritte Variante schließlich wurde realisiert. Auf einem Foto von 1964 steht Walter Ulbricht mit Ost-Berlins Oberbürgermeister Friedrich Ebert vor einem Modell, zeigt auf das Areal neben dem S-Bahnhof Alexanderplatz und sagt, wie Ohrenzeugen berichten: „Nu also, Genossen, da sieht man’s ganz genau: Da gehört er hin.“ Weil zu dieser Zeit das Projekt eines „Staatshochhauses“ für alle Ministerien am Marx-Engels-Platz schon ad acta gelegt worden war, sollte der Fernsehturm so etwas wie eine städtebauliche Höhendominante werden, eine Stadtkrone, die alles (vor allem die kleine, ehrwürdige Marienkirche) überragt und von der Sieghaftigkeit des Sozialismus kündet.

Bis heute wird über die Urheberschaft der Form, der genialen Kugel statt eines mastkorbähnlichen Gebildes, gestritten. Der silberne Lolliball, diese Disco-Kugel, sollte wohl auch ein wenig an den himmelstürmenden Sputnik erinnern. Die damalige Version hieß: „Fritz Dieter und Günter Franke suchten innerhalb eines Kollektivs, an dessen Spitze der Architekt Prof. Henselmann stand und das Werner Ahrendt statisch beriet, nach der günstigsten architektonischen Lösung.“ Der exponierte Standort verlangte eine einprägsame Form. Natürlich war nicht sofort die Kugel da. Zylinder, Scheiben, Kegel tauchten in 40, 50 Entwürfen auf. „Aber all das gefiel uns nicht. Bis einer von uns auf die Kugel kam. Sie ging uns nicht mehr aus dem Kopf. Sie war an einem solchen Bauwerk noch nie da“, sagten damals die Architekten Günter Franke und Fritz Dieter.

Das Ganze, dieser Riesenschornstein mit seinen Innereien, den Lifts und Leitungen, ist eine große technische Leistung. Der Turm, 26 000 Tonnen schwer, wiegt ungefähr so viel wie 216 Lokomotiven oder 866 Güterwaggons voller Kohle, und die Last der Kugel ist so groß, als hätte man da oben 40 Loks aufgehängt. Der breite Fuß gibt dem Turm die Standsicherheit. Bei Sturm, sagt Christina Aue, gibt es im Café einen Ausschlag von höchstens 15 Zentimetern, das ist nicht zu spüren. Da rutscht kein Glas über den Bartresen.

Sehenswert war der Bau von 1965 bis 1969. Während die graue Röhre wuchs und wuchs, wurde nahe der Marienkirche die komplette Kugel aus Stahlteilen vormontiert und dann in Einzelteilen per Kran mehr als 200 Meter hoch gehievt, um da oben, 32 Meter im Durchmesser, 4800 Tonnen schwer, montiert zu werden. Schließlich erhielt das Gerippe die silbern glänzende, stählerne Nirosta-Außenhaut, und so kam, bedingt durch die plastische Form des gerundeten Stahls, bei Sonnenlicht das Kreuz auf die Kugel. Sankt Walter! Entsetzen auf der einen, hämischer Spott auf der anderen Seite. Sie wollten die faszinierende Schlichtheit von St. Marien überblenden, doch nun überstrahlte ein christliches Symbol die Stadt.

Nicht nur Kreuz-Witze machten damals die Runde, „Walters Protzkeule“ oder „Ulbrichts Renommierstengel“ waren noch die harmlosesten Attribute für den Turm, der zu einer Zeit entstand, als undichte Dächer, Bröckelfassaden und Außenklosetts Alltag waren. Aber dann, als man die Berliner Schönheit aus der Vogelperspektive genießen konnte, als jeder von da oben die Mauer suchte, aber 360° Stadt mit roten Dächern, grünen Inseln und mit dem gemeinsamen Fluss fand – da war der Turm zur Attraktion geworden. Je länger er steht und wie ein alter Freund grüßt und blinkt, desto selbstverständlicher ist er Teil dieser Stadt. Symbol mit Aussicht. Die Nummer 2 nach dem Brandenburger Tor. Oder vielleicht die Nummer 1, jedenfalls am 3. Oktober.

Noch nie hat es so viele Turm-Souvenirs gegeben wie heute: zum Basteln aus Papier, zum Aufblasen aus PVC, als Schnapsflasche, T-Shirt und Parfüm-Flacon, aus dem „The Breath of Berlin“ strömt – als Mitbringsel begehrt und gefragt bei Touristen aus aller Welt.

Mit dem Fall der Mauer ist aus dem Ossi-Tower der lange Ganz-Berliner geworden, „vom Mittelpunkt Ost-Berlins zum Mittelpunkt der ganzen Stadt, gewissermaßen eingemeindet“, sagt Parlamentspräsident Walter Momper, „der Ausblick, den über eine Million Menschen pro Jahr von da oben genießen, ist einfach hinreißend, und am schönsten ist er wohl am Abend, wenn dir die funkelnde Stadt zu Füßen liegt.“

Unser Autor Lothar Heinke hat ein Buch zum Jubiläum des Fernsehturms geschrieben. Es ist reich illustriert mit Fotos von Karl Heinz Kraemer: „Fernsehturm Berlin – vom Bau bis heute“, Berlin Story Verlag, 9,80 Euro. 

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