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Berlin: Elektroden im Kopf bekämpfen erfolgreich die Schüttelkrämpfe eines Patienten

Erst der Verzweiflung nahe, jetzt wie neugeboren: zwei Jahre lang irrte Alfons Platzer (45) durch deutsche Kliniken, denn eine plötzliche Hirnstörung zwang den dreifachen Familienvater aus Schwäbisch-Gmünd ans Bett. Wie aus heiterem Himmel befielen ihn starke Bauchkrämpfe, vierzig Mal in der Minute.

Erst der Verzweiflung nahe, jetzt wie neugeboren: zwei Jahre lang irrte Alfons Platzer (45) durch deutsche Kliniken, denn eine plötzliche Hirnstörung zwang den dreifachen Familienvater aus Schwäbisch-Gmünd ans Bett. Wie aus heiterem Himmel befielen ihn starke Bauchkrämpfe, vierzig Mal in der Minute. Obwohl geistig völlig fit, fiel sein Körper in sich zusammen, auch die stärksten Medikamente blieben wirkungslos. Platzer verlor Job, Freunde und zuletzt den Lebensmut. Als letzten Ausweg nahm sich jetzt ein Ärzteteam des Virchow-Klinikums dieses Falles an. Der Eingriff dauerte 14 Stunden, dann waren vier hauchfeine Elektroden tief im Gehirn versenkt.

"Die rätselhafte Krankheit nennen wir axiale Dystonie", erklärte der Neurochirurg Klaus Maier-Hauff, der die Operation leitete. "Mit den Elektroden können wir zwei zentrale Hirnbereiche hemmen, die für die Schüttelkrämpfe ursächlich sind." Gesteuert werden die unmerklichen Ströme durch einen handtellergroßen Hirnschrittmacher, den Alfons Platzer seitdem unter dem rechten Schlüsselbein trägt. "Durch eine technische Neuheit können wir alle vier Elektroden von einem Schrittmacher aus bedienen", sagte Maier-Hauff. "Das ist ein riesiger Fortschritt." Bisher konnte ein Schrittmacher immer nur eine Elektrode steuern, das hätte dem Patienten kaum geholfen.

Dystonie ist außerordentlich selten. Um die Operation vorzubereiten, werteten die Ärzte ähnliche Fälle aus, weltweit knapp ein Dutzend. Auch Tierversuche spielten eine Rolle. Offensichtlich trafen sie genau ins Schwarze: wenige Tage nach der Operation gingen die Krämpfe deutlich zurück, Alfons Platzer konnte sich wieder aufrichten und normal laufen. "Ich hoffe, im nächsten Jahr wieder in meinen Beruf zurückzukehren", meinte er gelöst. Platzer arbeitete früher bei einer großen Versicherung.

Die Operation im Virchow-Klinikum, das zur Charité gehört, lässt auch die 200 000 deutschen Parkinson-Patienten hoffen. Dystonie und die Parkinson-Krankheit haben ähnliche Ursachen. Schon seit fünf Jahren experimentieren die Ärzte mit einzelnen Elektroden im Rückenmark, um das typische Parkinson-Zittern abzustellen. "Mit vier Elektroden läßt sich der Behandlungserfolg erheblich steigern", vermutet der Hirnspezialist Andreas Kupsch, der Alfons Platzer vor und während der Operation neurologisch betreute. Er schätzt, dass rund ein Viertel der Parkinson-Patienten mit dem neuen Elektroden-Quartett behandelt werden könnte.

Heiko Schwarzburger

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