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Berlin: Eltern vor Gericht

Misshandlung, Missbrauch, Vernachlässigung: In dieser Woche beginnen in Moabit vier Prozesse, in denen Kinder die Opfer sind

Früher taten es die Menschen oft als Privatsache ab – wenn ein Kind von seinen Eltern gezüchtigt wurde, wenn es zu Hause seelisch und körperlich verwahrloste, zwischen Müllbergen und Schnapsflaschen heranwuchs. Doch die Zeit des Wegsehens ist offenbar vorbei. Dass besorgte Anwohner, Verwandte und Erzieher immer öfter einschreiten, führt nicht nur bei der Polizei zu ständig steigenden Fallzahlen, auch die Justiz ist zunehmend gefragt. Allein in dieser Woche beginnen im Moabiter Kriminalgericht vier Prozesse, bei denen es um Misshandlung, Missbrauch und Vernachlässigung von Kindern geht.

Den Auftakt machen Snezana K. (25) und ihr Freund Thilo Sch. (46) am heutigen Montag. Vier Jahre alt war Victor (Name geändert), als er im Juni 2006 mit lebensgefährlichen Misshandlungen ins Krankenhaus kam. Laut Anklage hatte das Paar aus Neukölln nichts ausgelassen, um seine Ruhe zu finden: Victor wurde mal ins Zimmer gesperrt, dann auf dem Balkon ausgesetzt, bis ihm schließlich ein so schweres Medikament verabreicht wurde, dass er nicht mehr aufwachte. Jessy T. muss sich am Freitag vor Gericht verantworten. Die Anklage wirft der damals 23-jährigen Mutter vor, ihre drei Kinder in ihrer verwahrlosten Wohnung geschlagen und vernachlässigt zu haben.

Im Jahr 2005 zählte die Berliner Polizei insgesamt 313 Vernachlässigungen und 472 Misshandlungen – Tendenz steigend. Trotz der erhöhten Anzeigebereitschaft rechnen Experten noch immer mit einer hohen Dunkelziffer. Jugendämter und Strafverfolger beklagen ferner eine zunehmende Alles-egal-Mentalität überforderter Eltern. Fast täglich bekommen es die Sozialarbeiter mit Familien zu tun, in denen die einfachsten Regeln des täglichen Lebens – aufstehen, waschen, essen – nicht mehr befolgt werden. Für Kinder kann ein solches Elternhaus lebensgefährlich werden. Allein im Januar musste die Polizei rund 20 Kinder und Jugendliche aus verwahrlosten Wohnungen befreien.

Schmutz, Schimmel, Schnapsflaschen – das war das Erste, was den Polizisten auffiel, als sie die Wohnung von Simone (28) und Jan K. (25) betraten. Es war eine Nachbarin, die die Beamten im Oktober 2006 auf die Spur gebracht hatte: Das Paar lebte mit den drei Kindern in erbärmlichen Verhältnissen. Anstatt die Kleinen angemessen zu versorgen, trieben die Eltern offenbar ihre besonderen Späße: Mal verabreichten sie laut Staatsanwalt einem der Kinder eine Zigarette, dann flößten sie allen dreien Alkopops ein. Als die Sache aufflog, soll Jan K. seine Nachbarin bedroht haben, um sie von einer Zeugenaussage abzubringen. Der Prozess beginnt am Donnerstag.

Im Kriminalgericht wird man sich an den kurzen Takt gewöhnen müssen. Sabrina R. (22) beispielsweise sitzt noch in U-Haft, nachdem ihr Säugling in Schöneweide im Rinnstein gefunden wurde. Santino starb wenig später im Krankenhaus. Gegen eine andere 19-jährige Mutter wurde gerade Anklage erhoben, weil sie ihr Baby getötet und im Heizungskeller versteckt hatte. Um solche Fälle zukünftig zu verhindern, hat der Senat das Konzept „Netzwerk Kinderschutz“ entwickelt. Derzeit wartet das Papier im Rat der Bürgermeister auf Zustimmung; es steht am morgigen Dienstag auf der Tagesordnung. Anschließend wird das Frühwarnsystem im Parlament beraten.

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