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Klaus Leutner setzt sich dafür ein, dass den Ermordeten ein Namen gegeben wird.

© Kitty Kleist-Heinrich

Ende des Vergessens in Altglienicke: Hunderte Opfer des Nationalsozialismus sollen nicht anonym bleiben

Auf dem Friedhof in Altglienicke liegen Opfer der NS-Zeit in Urnen, anonym. Für eine Gedenkwand werden nun Paten gesucht.

Eine schmale Fläche, links vom Eingang, an der südlichen Friedhofsmauer. 62 Meter lang, keine zehn Meter breit. Mehr als 1360 Menschen sind hier auf dem Friedhof von Altglienicke in Urnen bestattet. Ermordet in den Konzentrationslagern und Tötungsanstalten der Nationalsozialisten. Ein paar Sträucher wachsen an der Grabstelle, Blumengestecke, in der Mitte ein schlichter Gedenkstein, Die Inschrift ist verwittert, kaum lesbar. Keine Namen, nur eine Zahl. Klaus Leutner versucht, die Toten aus der Anonymität zu holen. Er will ihnen ihre Namen zurückgeben, doch dabei braucht er Hilfe.

Stein auf Stein. Viele ermordete Juden haben noch nicht einmal einen Gedenkstein.
Stein auf Stein. Viele ermordete Juden haben noch nicht einmal einen Gedenkstein.

© Kitty Kleist-Heinrich

Neben dem Grabfeld soll eine Glaswand mit den Daten der Ermordeten errichtet werden. Das Besondere: Die Namen sind handgeschrieben von sogenannten Namenspaten, die er jetzt für sein Projekt sucht, am kommenden Montag gibt es dazu eine Aktion im Rathaus Köpenick, potenzielle Paten können gern kommen, gern junge Leute, man muss nichts dafür zahlen, es geht um den ideellen Einsatz (s. Kasten). Die Idee des Wiener Büros „Outside! Landschaftsarchitektur“ hat sich in einem Wettbewerb durchgesetzt, den die Senatsverwaltung ausgelobt hatte. Immer wieder hatte Leutner den Senat auf das Thema aufmerksam gemacht. Als „Einflüsterer“, wie er sagt.

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2004 war er zum ersten Mal auf dem Friedhof im Südosten Berlins. Er arbeitete damals ehrenamtlich in der Gedenkstätte Sachsenhausen. Auf der Suche nach dem Grab einer polnischen Frau, die 1942 in Plötzensee hingerichtet wurde, klapperte er Friedhöfe ab, die in den 30er Jahren an der Peripherie Berlins lagen. Denn die Nazis, sagt Leutner, verscharrten ihre Opfer am Rande der Stadt. Die Grabstelle in Altglienicke ist nur eine von vielen in Berlin. Hier wurden besonders viele ausländische Opfer bestattet: 460 Menschen, die meisten von ihnen aus Polen; auch einige Geistliche. Zu allen Bestattungen gibt es Dokumente mit Namen der Toten.

Auf Initiative von Leutner machte der Senat auf dem Friedhof in Altglienicke Probebohrungen. Manche der Grabstellen seien nur Scheingräber – die Asche wurde einfach weggekippt. Hier aber sind wirklich Urnen in der Erde vergraben. Eng aneinander. So dicht, dass sie beim Versuch, sie einzeln zu heben, höchstwahrscheinlich kaputt gehen würden.

Das Grabfeld soll daher in seiner jetzigen Form erhalten bleiben. Auch weil die Toten nicht gesondert bestattet wurden. Meist wurde die Asche von mehreren Tagen gesammelt und dann auf die Urnen verteilt. Die Namenswand ist eine Aufforderung zum gemeinsamen Gedenken. Ungeachtet der Schuldfrage und kultureller Unterschiede. Toleranz, sagt Leutner, bedeutet, Unterschiede auszuhalten.

Verwittert. Bisher erinnert nur ein Stein aus den 50er Jahren an die Zahl der Opfer.
Verwittert. Bisher erinnert nur ein Stein aus den 50er Jahren an die Zahl der Opfer.

© Kitty Kleist-Heinrich

Seit vielen Jahren beschäftigt sich der 79-Jährige mit den Verbrechen der Nationalsozialisten. Unzählige Tage hat er in Archiven Unterlagen durchforstet, Zeitzeugen besucht, Listen erstellt. In seiner Tasche hat er einen dicken Stapel alter Dokumente: Friedhofspläne, Skizzen, Lager-Korrespondenzen.

Leutner hat den Zweiten Weltkrieg als kleiner Junge miterlebt. Die Bomben, die Angst, 1945 die Flucht aus der ostpreußischen Heimat. Diese Erfahrung hat ihn geprägt. Er glaubt nicht an das Konzept von Identitäten. „Ich bin in Königsberg geboren, aufgewachsen in Masuren, habe in Kiel Schwimmen gelernt und lebe nun seit über 20 Jahren in Köpenick“, sagt er.

Ihm geht es nicht um Schuld, sondern um Verständigung

Für ihn zählt nicht, woher jemand kommt, sondern was für ein Mensch er ist. Leutner geht es nicht um Schuld, sondern um Verständigung. Einige polnische Hinterbliebene hätten sich bereits bei ihm gemeldet. Er hofft, dass durch die Gedenkstätte ein interkultureller Dialog angestoßen wird. Dass sich Deutsche und Polen an den Gräbern begegnen. Sie müssten sich nicht lieben, sagt er, aber sie müssen sich kennenlernen. Versöhnung gelinge durch Verstehen.

[Es werden weiterhin Namenspaten für das Gedenkprojekt in Köpenick gesucht. Interessenten können sich auf www.erinnerungsort-altglienicke.de registrieren. Am Montag, 27. Januar 2020, können Interessierte auch spontan im Rathaus Köpenick, Alt-Köpenick 21, 12555 Berlin, mit ihrer persönlichen Handschrift zwischen 9.30 Uhr und 19.30 Uhr die Namen der NS-Opfer für eine Siebdruckvorlage aufschreiben. Weitere Folgetermine werden noch bekannt gegeben. Die Patenschaft kostet den Paten nichts. Wer Informationen oder Anregungen zu der Grabstelle in Altglienicke hat, kann sich gerne an Klaus Leutner wenden per Mail an: klaus-leutner@gmx.de. Aus baulichen Gründen muss die Gedenkwand mit den Namen der NS-Opfer an einem Stück errichtet werden, weshalb das Projekt noch 2020 umgesetzt werden muss. Der Friedhof ist an der Schönefelder Chaussee 100, 12524 Berlin.]

Vor allem junge Menschen möchte er für das Projekt begeistern. Wer nicht aus der Geschichte lerne, der mache denselben Fehler noch mal. Wenn Lehrer mit trockenen Zahlen und geschichtlichen Fakten kommen, dann erreiche man die Jugend nicht. Leutner will auf dem Friedhof in Altglienicke einen Lernpfad einrichten. Man müsse den Jugendlichen etwas „Handfestes“ zeigen. Das Interesse für die Vergangenheit entstehe erst, wenn man den Menschen ein Gesicht gebe – das ist die Idee hinter den Namenspatenschaften.

Leutner hofft, dass sich auch Schulklassen melden

Aufgerufen ist jeder, der sich erinnern will. Bisher haben sich rund 500 Paten gefunden, sagt Klaus Gruber, einer der beiden Architekten des Projekts. Auch viele Institutionen und Schulen sind dabei. Doch viele Namen der jüdischen Opfer sind noch zu vergeben. Leutner hofft, dass sich auch Schulklassen melden, die sich um die Pflege der Grabstelle kümmern. Vor einiger Zeit, erzählt er, hatten polnische Angehörige ein Schild an der Grabstelle aufgestellt.

Ein paar Tage später war es verschwunden. Diese bösen Kräfte, die gebe es auch heute noch, sagt er. Man kann die Toten nicht lebendig machen, sagt er, aber man könne aus ihrem Tod lernen.

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