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Rund 60 Menschen kamen in die Philip-Melanchthon-Kirche in der Kranoldstraße.

© Madlen Haarbach

Erinnerung an 242 Verstorbene: Erste Gedenkfeier für Tote ohne Angehörige in Neukölln

Sie starben allein: Neben Reinickendorf und Mitte richtet jetzt auch Neukölln Trauerfeiern für ordnungsbehördlich bestattete Menschen aus.

Den Namen der Menschen, die vergessen wurden, noch einmal zu nennen. Ihnen einmal Gedenken, unabhängig davon, wie sie ihr Leben gelebt haben. Das sei das Ziel der Trauereier für ordnungsbehördlich bestattete Menschen, erklärte der Neuköllner Pfarrer Jan von Campenhausen am Sonntagabend. In Neukölln und Spandau fanden zeitgleich zum ersten Mal entsprechende Gedenkveranstaltungen statt.

In der Neuköllner Philip-Melanchthon-Kirche versammelten sich rund 60 Menschen, um den Namen jener zu lauschen, die im vergangenen Jahr einsam verstorben waren. Ordnungsbehördlich bestattet wird, wer einsam und ohne Angehörige verstirbt – oder wessen Angehörige die Kosten für eine Beerdigung nicht tragen können oder wollen.

Einige wurden erst Tage nach ihrem Tod gefunden

In Neukölln waren das im vergangenen Jahr 242 Menschen. Manche starben alleine in ihren Wohnungen, wurden zum Teil erst Tage später gefunden. Andere, die etwa als Obdachlose gelebt hatten, starben auf der Straße oder in einem Krankenhaus.

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Für jeden der 242 Namen wurde vor dem Altar eine Kerze angezündet, die 242 Lichter in einer Spirale angeordnet. Diese Spirale soll den Kreislauf des Lebens symbolisieren, hieß es, und Hoffnung darauf geben, dass auch mit dem Tod der Kreislauf nicht endet, sagte Gerhard Paul, Vorstand der Heilhaus-Stiftung, die die Neuköllner Gedenkfeier initiiert hatte.

Niemand solle namenlos einfach verschwinden, sagte Pfarrer Jan von Campenhausen in seinem Grußwort. Auch der Neuköllner Gesundheitsstadtrat Falko Liecke (CDU) erklärte: „Eine ordnungsbehördliche Bestattung hat nicht gerade viel mit Feierlichkeit zu tun.“ Die Gedenkfeier solle jenen Menschen, die einsam oder in Armut verstorben sind, einen würdigen Abschied geben.

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Bei der Feier wurden alle Namen der Verstorbenen einzeln verlesen, begleitet von musikalischen Beiträgen des Kirchenchores und vorgetragenen Gedichten. Nach und nach stehen einzelne Besucher der Andacht auf, viele wischen sich Tränen aus dem Gesicht. Als „Hallelujah“ von Leonard Cohen durch das Kirchenschiff schallt, singen einige Menschen leise mit.

Die Gedenkfeiern finden öffentlich statt und sollen so zugleich auch die Möglichkeit bieten, im Schutz der Anonymität stillen Abschied von einem Verstorbenen zu nehmen, mit dem zu Lebzeiten vielleicht keine Versöhnung möglich war.

Am Sonntag fand auch in Reinickendorf eine Gedenkfeier statt, hier bereits im zweiten Jahr in Folge. Als erster der Berliner Bezirke hatte Reinickendorf im Januar 2019 eine Gedenkfeier für ordnungsbehördlich bestattete Menschen veranstaltet, im November fand eine ähnliche Feier in Mitte statt.

Zunächst hatten die Bezirke auf den Datenschutz verwiesen

Zuvor hatten die Bezirke auf mehrere Anfragen des Tagesspiegels, der den einsam Verstorbenen im wochentäglichen Checkpoint-Newsletter gedenken wollte, zurückhaltend reagiert – und in erster Linie auf Datenschutzbedenken verwiesen. Dabei finden in anderen Städten wie Köln bereits seit mehreren Jahren Trauerfeiern statt.

Rund 2000 Menschen werden jährlich in Berlin durch die Ämter bestattet. Die meisten von ihnen finden ihre letzte Ruhe auf einem Urnengrabfeld – das oft lediglich mit grünen Plastikschildchen, auf denen der Namen der Toten vermerkt wird, gekennzeichnet wird. Mit der Gedenkfeier „geben wir den Verstorbenen stellvertretend das zurück, wofür wir als Zivilgesellschaft einstehen: Respekt“, sagte Pfarrer Jan von Campenhausen.

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