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© dpa

Ermittlungen: Polizeigewerkschaft hält Poker-Räuber für dumm

UPDATE Der spektakuläre Überfall auf ein Pokerturnier in Mitte könnte sich schnell aufklären, glauben Polizeigewerkschafter. Ein Zusammenhang zu einem Raub im Schöneberger Amtsgericht wird geprüft.

Der spektakuläre Überfall auf das Berliner Pokerturnier zeigt aus Sicht der Polizeigewerkschaft im Beamtenbund eine neue Dimension der Dummheit von Verbrechern. Wer vor laufender Kamera eine solche Tat begehe, sei eher ein Dilettant, sagte der Vorsitzende Rainer Wendt am Montag auf dem Fernsehsender "n-tv". Er rechne damit, dass die Täter schnell gefasst werden.

Wendt kritisierte außerdem die zu geringe Anzahl von Sicherheitsleuten für das Ereignis. Ein Turnierveranstalter, „der mit solchen Geldsummen in bar hantiert, die offen herumliegen lässt“, müsse dafür Sorge tragen, dass auch genügend Sicherheitspersonal da sei, sagte Wendt weiter. Ein einziger Wachmann und ein Hotelpraktikant reichten „da wirklich nicht aus“. Die Täter haben nach Angaben von Polizeipräsident Dieter Glietsch 242.000 Euro erbeutet. Im Tresor lagen Startgelder von insgesamt 691.000 Euro. 

Schlugen die Täter auch schon in Schöneberg zu?

Die Polizei prüft derzeit Verbindungen zu einem Raub, der sich im November 2005 ereignete. Damals stürmten maskierte Männer in das Amtsgericht Schöneberg, wo gerade eine Zwangsversteigerung lief. Die drei Täter griffen sich 128 000 Euro, die ungesichert auf dem Tisch des Auktionators lagen – Geld, das von den Bietern bei Zwangsversteigerungen von Immobilien als sogenannte Sicherheitsleistung hinterlegt werden muss. Das Timing beim Pokerturnier wie bei der Auktion war perfekt: In beiden Fällen hatte sich besonders viel Geld angesammelt.

Dabei ist es mittlerweile für Kriminelle äußerst schwer geworden, größere Summen Bargeld zu erbeuten. Denn in den vergangenen Jahren haben vor allem Banken ihre Bestände reduziert und zudem die Sicherheitsvorkehrungen verschärft. Das zeigt sich auch in der Kriminalitätsstatistik: Die Zahl der Banküberfälle ging drastisch zurück. 1993 gab es noch fast 100 in Berlin, in den letzten Jahren nur noch um die zehn pro Jahr. Denn Kassierer in Banken können heute nur noch über einen geringen Betrag – wenige tausend Euro – ohne Zeitverzögerung verfügen. Und der Zentraltresor ist in fast allen Instituten so gesichert, dass man auch mit Gewalt nicht mehr herankommt.

Weil die Banken aufrüsteten, rückten dafür Supermärkte in den Fokus der Kriminellen. Weil sich die Überfälle häuften, rüsteten Handelsketten ihre Filialen nach und mit sicheren Tresoren aus. Mancher Discounter war allerdings erst auf sanften Druck der Polizei dazu bereit. So kam es, dass sich etwa 2004 Überfälle auf Schleckermärkte häuften – dort gab es wenig Personal, nur einen einfachen Tresor und selten  Videoüberwachung. Nachdem im ersten Halbjahr 2005 schon 34 Filialen ausgeräumt worden waren, erhöhte die Polizei den Druck. Der Leiter des Berliner Landeskriminalamts (LKA) sprach damals direkt mit den Schlecker-Chefs – der Konzern lenkte ein. Die Zahl der Überfälle auf Schlecker ging drastisch zurück.

"Selbstbedienungsladen" im Amtsgericht Schöneberg

Die maximal mögliche Beute bei einem Raub sank durch diese Verdrängung auf einen Bruchteil. Waren früher in Banken noch mehrere 100 000 Euro zu holen, waren es in Supermärkten maximal 10 000, bei Schlecker noch weniger. Heute, nachdem alle Geschäfte aufgerüstet haben, werden selbst Zeitungskioske überfallen, wo im besten Fall mehrere hundert Euro zu holen sind.

Täter, die es auf größere Summen abgesehen haben, müssen auf die – seltene – Gelegenheit warten, wie eben 2005 im Schöneberger Amtsgericht. Ihnen war aufgefallen, dass das Geld nicht einmal durch eine Kasse oder gar Wachmann gesichert war. Eine Einlasskontrolle gab es im Gebäude ebenfalls nicht. Der damalige Leiter des Raubdezernats im LKA hatte dieses seit Jahrzehnten unveränderte Prozedere als „Selbstbedienungsladen“ kritisiert: „Unglaublich, wie eine Behörde mit Geld umgeht.“ Für diese kritischen Worte bekam er später Ärger – aber die Justizverwaltung stoppte nach etwa 100 Jahren die Bargeldpflicht bei Zwangsversteigerungen von Immobilien.

Diese Täter von 2005, von der Polizei als „Südländer“ beschrieben, haben nun möglicherweise nochmals zugeschlagen. Am Sonnabend hatte gerade das Sonderturnier mit dem höchsten Startgeld begonnen: 10 300 Euro pro Person. Verblüffend sei die ungeheure Dreistigkeit der Täter, sagte ein erfahrener Ermittler am Sonntag. Sie ließen sich weder vom privaten  Wachschutz abschrecken noch von den hunderten Pokerspielern, deren Verhalten nicht kalkulierbar ist. Zudem fand das Turnier im ersten Stock statt: Der Rückzug durchs Parterre des Hotels sei ebenso riskant wie die Flucht über den belebten Marlene-Dietrich-Platz und durch die Potsdamer Platz Arkaden. Tatsächlich haben zahlreiche Augenzeugen die Tat gefilmt oder fotografiert.

Viele Aufnahmen sind mittlerweile im Internet zu sehen. Auf der anderen Seite der Arkaden sollen die vier Männer in ein Auto gestiegen sein. Dass einer der Täter eine Machete trug, sei Kalkül, sagte der Kriminalbeamte. „Eine Machete sieht einfach gefährlich aus.“ Dass ein zweiter Täter seine Schusswaffe nicht einsetzte, spreche dafür, dass sie nicht scharf gewesen sei. Denn nachdem ein Wachschützer einen der Täter kurz festhalten konnte, drohte der Überfall zu scheitern. Ein Schuss in die Decke hätte die Wachleute schnell aufgeben lassen, hieß es. Erstaunlich sei der Überfall auch deshalb, weil es kaum Zeit zum Auskundschaften gab. Das Turnier lief erst seit Dienstag. (mit dpa)

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