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Berlin: Ethisches Orientierungswissen genauso wichtig wie Computer- und Fremdsprachenkenntnisse

Klaus Böger sitzt in der ersten Reihe. Er sieht zufrieden aus.

Klaus Böger sitzt in der ersten Reihe. Er sieht zufrieden aus. Es passiert einem Senator schließlich nicht alle Tage, dass er mit einem einzigen Satz ein Lawine auslöst. Der Schulsenator hatte sich in einem Interview dafür ausgesprochen, "ergebnisoffen" zu diskutieren, ob man in Berlin den Religionsunterricht als Wahlpflichtfach einführen soll. Sonst nichts. Und jetzt das: Mehr als 400 Menschen drängen sich am Montagabend im dialogfreundlichen Rund der Friedrich-Ebert-Stiftung und sind gespannt.

Auf dem Podium sitzen immerhin gleich drei offen gläubige Menschen: der evangelische Bischof Wolfgang Huber, der katholische Georg Kardinal Sterzinsky und der ebenfalls katholische Bundestagspräsident Wolfgang Thierse. Alle drei sprechen sich für die Reform aus: Berlin solle endlich seinen Sonderstatus aufgeben. Die Schüler dürfen dann nicht länger zwischen einem, noch dazu unbenoteten, Religionsunterricht und der Freizeit wählen, sondern zwischen benotetem Religionsunterricht und ebenfalls versetzungsrelevantem Ethikunterricht. Thierses Hauptargument: "Wir müssen gleiches Gewicht auf ethisches Orientierungwissen legen wie auf den Umgang mit dem Computer und das Erlernen von Fremdsprachen."

Dass die Kirchen dazu besonders geeignet sind, bestreiten selbstverständlich die beiden Gegner des Religionsunterrichts. Ideologiekritisch tritt Sanen Kleff auf, die Vertreterin des "Aktionsbündisses gegen ein Wahlpflichtfach Religionsunterricht in Berlin". Die Länge des Namens dokumentiert trefflich die Breite des Bündnisses, das von Freidenkern, PDS, Grünen und Sozialdemokraten getragen wird. Sanen Kleff findet es nicht einsichtig, dass Menschen Religionsunterricht erteilen dürfen, die sich selbst zum Glauben bekennen. "Die Kirchen sollen nur den bekennenden Teil übernehmen", und zwar außerhalb des Lehrplans. Ein Vorschlag, den Thierse "reaktionär" findet und mit dem Ausruf quittiert: "Keine Religion ohne Konfession."

Der zweite Gegner des Religionsunterrichts, der ehemalige Leiter des Landesschulamtes Wilfried Seiring, nimmt sogleich den unzweifelhaft stärksten Standpunkt ein, den des Pragmatikers, der auf die Kosten achtet. Ethik solle in einem verbesserten Sozialkundeunterricht mitvermittelt werden, dafür brauche man keinen teuren, neuen Religionsunterricht. Der "Glaube an diesen oder jenen Gott" sei für die Werteerziehung nicht ausschlaggebend. Im übrigen, so rechnet Seiring vor, liege es mit der Wertehaltung der Schüler nicht so im Argen. Nur vier Prozent litten an einem verminderten Selbstwertgefühl. Wieviele Schüler an einem überhöhten Selbstwertgefühl leiden, sagt er allerdings nicht.

Die Sympathien des Publikums liegen recht eindeutig bei den Befürwortern einer Reform. Entsprechend konzentriert sich Sanen Kleff darauf, eine möglichst ausgiebige Dauer-Debatte über die Reform zu fordern - den berüchtigten "breitangelegten Dialog". Der politisch versierte Bischof Huber ist da ungeduldiger: "Wir diskutieren seit zehn Jahren. Wir wollen jetzt Taten sehen."

Starke Überzeugungen und ein ungeduldiger Reformwille auf der einen, viel Zeit und wenig Geld auf der anderen Seite - diese Konstellation wird wohl den weiteren Verlauf der Debatte begleiten. Der Senator, der sich in seinem Eingangsbeitrag betont überparteilich gab, behauptete, er habe eine Position, sagte aber nicht welche. Nur in einer Frage war er entschieden, vielleicht in der wichtigsten: "Die Entscheidung muss noch in diesem Jahr fallen."

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