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Streitpunkt Wohnen: In Berlin verlangten Vermieter 2018 doppelt so viel wie 2008.

© Jens Kalaene/dpa

Ex-Bausenator Nagel: „Es gibt Schurken unter den Bauherren und in der Politik “

Berlins früherer Bausenator Wolfgang Nagel hält nichts vom Mietendeckel seiner Nachfolgerin Lompscher, sieht aber Wege aus der Wohnungsnot. Ein Interview.

Wolfgang Nagel (SPD) war von 1981 bis 1999 Mitglied des Abgeordnetenhauses und von 1989 bis 1996 Senator für Bau- und Wohnungswesen in Berlin.

Herr Nagel, Sie waren der letzte Bausenator von West-Berlin und der erste der wiedervereinten Stadt. Wo stand Berlin damals?
Mit der Abwahl der CDU und des damaligen Regierenden Bürgermeisters Diepgen wurde ich 1989 als letzter Bausenator West-Berlins in den rot-grünen Senat gewählt. Von 1985 bis 1989 war erkennbar zu wenig gebaut worden. Und dann fiel die Mauer und alle drängte es nach Berlin.

Schon damals herrschte Mietenwahnsinn?
Nein, aber der Wohnungsbedarf war noch höher als heute. In Ostberlin fanden wir 280.000 Wohnungen in Plattenbauten vor, wo die Heizung mit dem Öffnen von Fenstern gedimmt wurde. Es gab in den Ostbezirken ca. 270.000 Altbauwohnungen, davon 35.000 ohne Innentoilette. Im Westteil gab es die ersten sozialen Probleme in den Großsiedlung im Märkischen Viertel oder an der Heerstraße.

Alle namhaften wissenschaftlichen Institute, wie etwa das DIW, prognostizierten ein raketenähnliches Bevölkerungswachstum auf fünf Millionen Menschen in den nächsten Jahren. Und wir hatten keinen Stadtentwicklungsplan.

Wie haben Sie reagiert?
Wir haben Wohnungsbauflächen ausgewiesen, noch und nöcher. Die Gründe des Booms sind heute andere, das Problem der Mengen dasselbe. Nur dass die Politik damals ganz anders reagiert hat, weniger halbherzig, weniger mutlos.

Dabei hatten wir dieselben Konflikte. Wo man auch bauen wollten, stellten sich Bezirkspolitiker, Wahlkreisabgeordnete und andere dagegen. Die machten Politik für diejenigen Mieter, die schon Wohnungen haben und nicht gestört werden wollten. Das ist heute ähnlich.

Aber es gab keine Partizipation?
Aber natürlich, aber wir haben den Leuten nicht nach dem Munde geredet. Heute hat man nicht den Mumm, den Menschen zu sagen, was nötig ist. Auch deshalb haben wir die Probleme. Weil nicht alles dafür getan wird, das zu bauen, was fehlt: nämlich Wohnungen.

Das klingt nach Immobilienlobby und der dunklen Seite der Macht?
In der Tragödie zur sogenannten Wohnungsnot gibt es zwei Schurken: Etliche auf Seiten der Bauherren und Investoren, die den Rachen nicht voll kriegen, die die Krise und den Mangel ausnutzen, um das Maximum an Rendite herauszuholen. Der andere Schurke ist dieser Senat. Vom Regierenden Bürgermeister bis zur Bausenatorin vermisse ich Rückgrat.

Es gibt zwar einige richtige Maßnahmen und Antworten. Aber es gibt auch diejenigen, die wollen den grundsätzlichen Systemwechsel in der Wohnungspolitik. Da müssen der Regierende Bürgermeister und die SPD sagen: Das werden wir nicht mitmachen.

Sie haben gut reden. Was schlagen Sie konkret vor zur Bekämpfung der Spekulation?
Mietwohnungen in Eigentum umzuwandeln ist fehlgeleitetes Kapital, mit dem keine Wohnung mehr geschaffen wird. Da wollen Leute nur Reibach machen. In Kopenhagen ist Umwandlung verboten. Das ginge auch in Berlin, etwa über Festlegungen in Erhaltungssatzungen. Und zwar ein komplettes Verbot. Übrigens, seit das Umwandeln in Kopenhagen in den 90er Jahre verboten wurde, kamen viele Dänen nach Berlin, um hier zu spekulieren.

Der frühere Bausenator Wolfgang Nagel (SPD).

© DAVIDS/Darmer

Hilft auch Vergesellschaftung?
Nein, und wenn der Regierende Bürgermeister mehr Rückgrat hätte, würde er die aberwitzige Diskussion zum Roten Berlin, den die Interventionistische Linke führt, beenden. Da wird die Systemfrage gestellt. So wie die SPD hier laviert, wird sie zum Appendix der Linken und ist nicht mehr mehrheitsfähig.

Nur deshalb ist der Senat der Schurke?
Nicht nur deshalb, sondern auch weil er zwar sagt, wir wollen bauen, aber in Buch, am Tempelhofer Feld, in der Elisabeth-Aue und an etlichen anderen Orten in der Stadt, das Gegenteil tut. Kein Mensch glaubt wirklich, dass die Nachfrage nach mehr als 130.000 Wohnungen durch den Ausbau von Dachgeschossen oder dem Schließen von Baulücken befriedigt werden kann. Das muss man den Menschen sagen, der Finanzsenator muss es, die Wirtschaftssenatorin und der Regierende Bürgermeister.

Berlin wächst und das ist gut so, weil mehr Steuereinnahmen fließen und wir endlich Kitas, Schulen, Parks, Schwimmbäder und Bibliotheken aus eigener Kraft bauen können. Berlin kann nach Jahrzehnten am Tropf endlich auf eigenen Füßen stehe.

Und wenn das Wachstum endet und die Menschen ausweichen, dann müssen wir wieder sparen, bis es quietscht?
Nein, ich war schon damals der Meinung, dass öffentliche Betriebe der Daseinsvorsorge, und dazu gehören auch Wohnungsgesellschaften, nicht privatisiert gehören. Das war ein schwerer politischer Fehler des Senats, der SPD und der Linken unter Führung von Wirtschaftssenator Harald Wolf. Offenbar hat man darüber ein so ein schlechtes Gewissen, dass man heute ins andere Extrem fällt.

Der Mietendeckel hilft nicht?
Ganz im Gegenteil, dann kämen wohl noch mehr Menschen nach Berlin, weil die Mieten staatlich festgelegt und im Bundesvergleich noch billig sind. Dann gibt es noch mehr Konkurrenz um noch weniger Wohnungen pro Haushalt, also noch mehr Verdrängung.

Also gar keinen Deckel?
Einen vorübergehenden Mieterhöhungsstopp, wie Frau Högl ihn ursprünglich vorgeschlagen hatte, halte ich für vernünftig. Für eine gewisse Zeit und unter bestimmten Konditionen. So lange bis die Krise bewältigt ist, die der Senat selbst durch den Ausverkauf landeseigener Wohnungen und dem Stopp der Anschlussfinanzierung im sozialen Wohnungsbau herbeigeführt hat. Aber das geht nur, wenn in dieser Zeit endlich massiv Wohnungen gebaut werden.

Einige sagen, Wohnungen seien keine Ware, deshalb muss der Markt weg?
Na ja, Raed Saleh, der SPD-Fraktionsvorsitzende im Abgeordnetenhaus, sagt: „Wohnen ist ein Grundrecht“. Dem stimme ich zu. Aber wer muss dann dafür sorgen, dass es erfüllt wird? Der Staat und hier in Berlin der Senat, indem er dafür sorgt, dass auch genügend Wohnungen zur Verfügung stehen.

Andere sagen, es gebe überhaupt keine Bauflächen mehr?
Da trifft nicht zu, das hat man schon gesagt, als die Mauer Berlin noch begrenzte. Trotzdem haben wir damals Flächen mobilisiert. Wir haben grundsätzlich über unsere Siedlungspolitik entscheiden müssen, so wie heute über das Tempelhofer Feld. Es ist richtig, dass die Menschen vor Ort die Diskussion führen und sich einbringen. Aber die Politik muss letztlich entscheiden und dazu stehen.

Wie bewerten Sie den geplanten Mietendeckel?
Wenn der Senat, soweit dies überhaupt einer rechtlichen Prüfung standhält, Mietobergrenzen festsetzt, nunmehr willkürlich auf das Jahr 2013 – warum nicht auf das Niveau des aktuellen Mietspiegels 2019? – dann unterstellt dies, dass alle heute darüber liegenden Mieten in der Vergangenheit zu Unrecht erhoben worden sind. Das trifft aber in keiner Weise zu.

Tatsächlich hat sich doch die Mehrheit der Vermieter gesetzeskonform am Mietspiegel orientiert. Und dessen Rechtmäßigkeit ist von den Gerichten einschlägig bestätigt worden. Auch der jetzt vorgelegte Deckel mit Mietobergrenzen stellt daher den aktuellen Mietspiegel infrage schafft ihn faktisch ab; es wird also geltendes Recht abgeschafft.

Das kann man natürlich politisch versuchen. Aber rückwirkend zuvor geltendes Recht zu Unrecht  machen, das ist doch absurd und mit Sicherheit nicht verfassungskonform. Ein Mieterhöhungsstopp wäre dann wohl eher vertretbar. Fünf Jahre lang mit Ausnahmen.

Klagen wurden schon angekündigt...
Und ich hoffe, dass die Gerichte schnell feststellen, dass so etwas verfassungswidrig ist. Die SPD selbst sollte aus Gründen der politischen Vernunft und der Ehrlichkeit möglichst schnell eine Normenkontrolle befürworten, damit verfassungsrechtlich vor dem Gesetzgebungsverfahren in Berlin Klarheit herrscht. Zurzeit wird viel versprochen und hinterher kommt die Bauchlandung.

Bekamen Sie die Wohnungsnot damals in den Griff?
Wir hatten schon damals keine Wohnungsnot, im Sinne der Wohnungsnot, wie sie nach dem Kriege herrschte. Wir hatten und haben einen Wohnungsmangel, und zwar vor allem für bestimmte Bevölkerungsgruppen, die sich das Wohnen nicht leisten können. Für diese Menschen müssen  vor allem die städtischen Gesellschaften Wohnungen bauen.

Im Jahr1989 wurden nur 5000 im Jahr  gebaut. Unter Rot-Grün haben wir allein die Zahl der geförderten Sozialwohnungen auf 30.000 im Jahr erhöht. Später wurden  bis zu 60.000 Wohnungen jährlich gebaut beziehungsweise gefördert. Helfen wollen heute auch die Genossenschaften. Die haben eine sehr gute, gemischte Bewohnerstruktur.

Die Vorstände protestieren ja derzeit unter anderem so vehement gegen den Deckel, weil der sie zu Arme-Leute-Genossenschaften machen würde. Der Vorteil der Genossenschaften, die soziale Mischung, die jeder in Berlin erhalten will, wäre damit verloren. Und trotzdem ist die aktuelle Politik tatsächlich nicht auf deren Seite. In Sonntagsreden wird es zwar propagiert, aber Grundstücke bekommen sie keine.

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