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Leihräder in Shanghai - zu viele, zu unnütz. Sieht es so auch bald in Berlin aus?

© picture alliance / Wang Gang/SIP

Fahrraddiebstahl in Berlin: Räder sind Menschen zweiter Klasse

Fahrrad nicht angeschlossen, trotzdem noch da. Warum sich unsere Autorin in einer ehrlichen Stadt nicht mehr zu Hause fühlt.

Manchmal geschehen Dinge, die den Glauben an diese Stadt im Mark erschüttern. Die den eigenen Lebensentwurf in Frage stellen, bisherigen Überzeugungen spotten, einen sogar überlegen lassen, nach Castrop-Rauxel zu ziehen. Oder nach Spandau.

Unerwartetes verunsichert. Wenn Dinge nicht so laufen, wie sie schon immer liefen, dann ist das manchmal spannend, meist verängstigend. Denn bestimmte Dinge haben einfach so zu sein, wie sie sind, und nicht anders. Dazu gehört Berlins Umgang mit Fahrrädern.

Seit mindestens immer können wir uns in dieser Stadt, in der ja zugegebenermaßen einiges schiefläuft, auf eines aber verlassen: Räder sind Menschen zweiter Klasse. Sie werden entführt, amputiert, ausgesetzt; die Käuflichen unter ihnen, die man minutenweise mieten kann, sogar gestapelt, zu einer Karikatur ihrer selbst, ihrer Masse. Seht nur, wir sind so viele und so unnütz, scheinen diese Aluhaufen stumm zu schreien.

Mitleidig gerührte Blicke des Radmechanikers

Wenn man also sein Fahrrad an einem ganz normalen Wochentag in morgendlicher Hektik mitten in diesem Sündenpfuhl, den wir Berlin nennen, an einer zumindest von Fußgängern hochfrequentierten Kreuzung abstellt und vergisst, es abzuschließen – dann darf man doch erwarten, dass es am Abend nicht mehr da ist? Fehlanzeige. Treu erwartet es die völlig entgeisterte Besitzerin am Abend, hat sich nicht gerührt.

Zugegeben, sein wahrer Wert erschließt sich nicht auf den ersten Blick. Doch: ignorant, wer in dieser alten, rostigen Krücke nur eine alte, rostige Krücke sieht. Empfindsamere Menschen erkennen unter ihrer blauen, namenlosen Schale das robuste, aber treue Diamant-Herz. Baujahr irgendwann in den Fünfzigern, Erbstück von Opa, sah Mauern entstehen und fallen. Jahrzehnte hat es überstanden, die mitleidig gerührten Blicke des Radmechanikers („Wollnse dis würklich nochma repariern lassen? Finanziell is dit’n Totalschaden!“) stolz übersehen. Denn wahre Diamanten müssen ihren Titel nicht vor sich hertragen, nicht mit sich herumfahren. Sie funkeln von innen.

Noch da: Ein wahrer Diamant im P-Berg.
Noch da: Ein wahrer Diamant im P-Berg.

© Constanze Nauhaus

Nun ist es also noch da, das Rad. Schön eigentlich. Aber auch unheimlich. In dieser Stadt, in der doch jeder mindestens eins ab hat.

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