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Familie in Berlin - die Kolumne: Meine Tochter und ich bei der Schuleingangsuntersuchung

In der heutigen Mutter-Kolumne beschreibt unsere Autorin, wie sie mit ihrer Tochter die Schuleingangsuntersuchung besucht und anschließend erschöpft das Gefühl hat, mal wieder so richtig über den Rand malen zu müssen.

Kürzlich landeten mein Mädchen und ich im falschen Film. Sie hatte eine Haupt-, ich eine Nebenrolle. Wir mussten zur Schuluntersuchung beim Gesundheitsdienst. Das ist Pflicht, obgleich ich den Schwachsinn der Früheinschulung in Berlin nicht mitmache: Ich habe meine gerade erst fünfjährige Tochter zurückstellen lassen. Immer „dieser unmenschliche Druck“, wie mein Chef gern sagt. Untersuchen lassen muss man das Kind trotzdem.

Wir taperten ins Amtszimmer, wo die Ärztin klarstellte: „Die Mutti darf hier sitzen bleiben, aber nichts sagen. Später bist du dann still und spielst, und ich rede mit der Mutti.“

Da saß die Mutti also still am Set und sah mit an, wie ihr Mädchen den Regieanweisungen der Amtsärztin folgte. Ein Marathon an Darbietungen: Sehtest, Hörtest, messen, wiegen, hüpfen, klettern, springen. Und natürlich die vielen Aufgaben: Dieses und jenes Wort nachsprechen, Fantasiewörter wiederholen, geometrische Figuren erkennen und fehlende in der richtigen Reihenfolge dazulegen … Und natürlich malen.

Alles wurde penibel in einer Tabelle von der Ärztin vermerkt und offenbar nach richtig oder falsch eingeordnet und abgehakt. Als meine Tochter Bildchen anschauen und den Plural bilden sollte, und auf „ein Vogel“ mit „zwei Vöglein“ antwortete, war das falsch. Das Amtsformular kennt nur „zwei Vögel“.

Bei der Auswertung – Mutti darf reden, Kind muss still sein – sagte die Ärztin: „Tja, hier hat sie den Tannenbaum aber nicht mit sechs Zacken gezeichnet. Das Kreuz ist schief. Und das Drachenbild hat sie nicht ergänzt, sondern ausgemalt, und auch über den Rand.“

Ich erinnerte mich, wie ordentlich, fast penibel ich als Kind gewesen war. Erst lange danach, im späten Teenageralter und auch in Phasen meiner Erwachsenenzeit, „malte ich über den Rand“, und zwar so richtig – allerdings stand das in einem ganz anderen Zusammenhang.

Erschöpft gingen wir nach Hause. Wenige Tage später hielt meine Tochter mir ein Blatt entgegen. „Mami, ich habe dir ein Bild gemalt. Und nicht über den Rand.“ Mir ging das Herz auf. „Du kannst ruhig über den Rand malen, das ist gar nicht schlimm“, sagte ich voller Mitleid. Und nahm mir vor, demnächst auch mal wieder über den Rand zu malen. Aber so richtig.

In der „KinderKunstWerkstatt“, Fichtestraße 28 in Kreuzberg, haben Kinder in vielen Kursen die Möglichkeit, richtig doll über den Rand zu malen. E-Mail: koduku@web.de, Telefon 69 81 97 81.

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