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Berlin: Flucht Richtung Osten

Die „behutsame Stadtsanierung“ in Mitte ist gescheitert. Alteingesessene türmen aus dem schicken, teuren Viertel – etwa nach Lichtenberg

Gerd Benjamin steht vor der „Strelitzer63“ und wartet. Wegen der Bewag ist noch was zu klären. Dann zieht der letzte Mieter aus und Gerd Benjamin, der Hausmeister, kann an seinen Auftraggeber, den Hauseigentümer, melden: Alle weg.

„Die Leute türmen aus dem Kiez, weil es nicht mehr ihrer ist.“ Das ist der Hauptgrund. Dann gibt es noch einen wichtigen Nebengrund: Die Strelitzer 63 wird saniert. Und wenn die Leute hier, „also die Ossis“, Sanierung hören, dann bekommen sie Angst vor den Mieten, die sich „doch nur die Wessis leisten können“ und hauen ab nach Lichtenberg. Benjamins Sohn ist schon in den Osten getürmt. „5-Zimmer-Wohnung für 500 Euro, warm.“ Hier, in Mitte, gibt es dafür gerade mal halb so viele Zimmer, kalt.

Die Strelitzer Straße lief früher direkt auf die Mauer an der Bernauer Straße zu. Heute liegt sie mitten in Yuppie-Berlin, im Sanierungsgebiet Rosenthaler Vorstadt. Früher gab es eine Kneipe und einen Tante- Emma-Laden, heute gibt es Werbeagenturen, Filmproduktionsfirmen und Galerien. Die Strelitzer 71 wird saniert. Wo die Mieter geblieben sind, weiß niemand. Im Flur hängt ein Zettel: „Wird hier im Haus eine 4-5-Zimmerwohnung frei? Wir sind ein Architektenehepaar mit 2 Kindern."

In der Rosenthaler Vorstadt wird seit acht Jahren die „behutsame Stadtsanierung“ betrieben. Die historische Gebäudesubstanz samt Straßen, Plätzen und Schulen soll so modernisiert werden, dass die Alteingesessenen es sich leisten können, hier zu bleiben. Wichtigstes Instrument sind die in der Sanierungssatzung vorgeschriebenen Mietobergrenzen. Statt der ortsüblichen Vergleichsmiete zwischen fünf und acht Euro pro Quadratmeter dürfen fünf Jahre lang nur zwischen 3,50 Euro und 4,20 Euro kassiert werden. Viele Hauseigentümer akzeptierten diese Einschränkungen – dafür bekamen sie schließlich Fördermittel für ihr Bauvorhaben. Seit zwei Jahren gibt es kein Geld mehr vom Staat und bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung häufen sich die Widersprüche. Eine Hausbesitzerin klagte vor dem Verwaltungsgericht – mit Erfolg. Das Oberverwaltungsgericht hat die Kappungsgrenzen in zweiter Instanz gekippt. Damit wird nur sanktioniert, was schon Realität ist: In den Sanierungsgebieten in Mitte werden die Mietobergrenzen weitgehend ignoriert.

Max O., Journalist, wohnt seit vier Jahren in einem sanierten Altbau in der Strelitzer und zahlt für 66 Quadratmeter 500 Euro. Viel zu viel, findet er und will möglichst bald wieder ausziehen. Dass er viel weniger zahlen müsste, weiß er nicht. Es würde auch nichts helfen. Die Mietobergrenzen seien nicht einklagbar, sagt Gisbert Preuß vom Büro des Sanierungsbeauftragten. Auch der Bezirk könne praktisch nichts tun, wenn sich Mieter auf höhere Zahlungen einlassen. „Die Mietobergrenzen sind ein stumpfes Schwert“ – vor allem in Mitte, wo zahlungskräftige Mieter auf den Markt drängen. „Fast alle Wohnungen hier werden teurer vermietet“, sagt Preuß.

Thomas Zoller, Arzt an der Charité, hat sich in der Bergstraße niedergelassen – wegen der „genialen Lage“. Zehn Euro zahlt er für den Quadratmeter, alles inklusive. Das findet er absolut in Ordnung. „Ich komme aus Süddeutschland. Da ist das hier vergleichsweise günstig.“ Im Mietvertrag hat er eine Klausel unterschrieben, dass er auf die Einhaltung der Mietobergrenzen verzichtet. „Ob das rechtens ist, weiß ich nicht.“

Die Mieter-Fluktuation im Viertel ist sehr hoch, bestätigt Sabine Krusen von der Betroffenenvertretung. Viele Mieter lassen sich mit Beträgen zwischen 5000 und 10000 Euro aus ihren Wohnungen locken, dann wird das Haus in Eigentumswohnungen aufgeteilt und als Steuerabschreibungsmodell an Investoren vermarktet. „Es ist erstaunlich, wie viele Mieter bereit sind auszuziehen“, sagt Preuß. Bei der Neuvermietung der leeren Wohnungen pocht dann niemand mehr auf Einhaltung der Mietobergrenzen – damit hat sich auch der Senat inzwischen stillschweigend abgefunden.

Rund zwei Drittel der knapp 5000 Wohnungen im Sanierungsgebiet Rosenthaler Vorstadt sind inzwischen restauriert. Der Kiez hat ein neues Gesicht bekommen und viele neue Bewohner: Künstler- und Studenten-WGs, besserverdienende Singles und Familien leben hier. Und „Alt-Ossis“, die partout nicht weg wollen.

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