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Tempelhof

© Kitty Kleist-Heinrich

Flughafen Tempelhof: Im Reich der Zaunkönige

Noch herrscht Ruhe an den Grenzen zum Flughafen Tempelhof. Wenn sie geöffnet werden, ist es damit vorbei. Ein Spaziergang am Stacheldraht entlang.

Die Metalltür hat keine Klinke und Zacken an der Oberkante. „Bahn-Landwirtschaft, Bezirk Berlin e.V., Unterbezirk Tempelhof, Gruppe Tempelhofer Berg.“ Berg? Tatsächlich, es geht ein paar Meter hoch neben der Böschung der Ringbahn, die hier den Tempelhofer Damm überquert. Es ist die Südwestecke des Noch- Flughafengeländes – der Ausgangspunkt einer Runde voller Überraschungen am Zaun entlang, der nach dem Willen des Senats schon bald durchlässig werden soll.

Hinter der Zinkentür taucht einer auf, der hier eine Gartenparzelle hat. Herr Witt („Nachname reicht!“), Anfang 60, Tempelhofberger seit 1972 und Freund des Zaunes. „Die Grünen wollen ja immer, dass die Kolonien für alle offen sind“, sagt er. Aber ohne Zaun gebe es mehr Einbrüche und weniger Ruhe. Wobei Ruhe hier, zehn Meter neben der S-Bahn und 30 neben der Stadtautobahn, relativ ist. „Ich fühle mich sauwohl hier“, sagt Witt, „ich muss nicht in den Urlaub fahren.“ Er hofft, dass die Kolonie bleiben kann, von der auf dem Streifen zwischen Ring- und Landebahn ohnehin nur 34 Parzellen übrig sind: „Es waren ja mal mehr als 200.“ Ganz früher habe es sogar einen direkten Weg nach Neukölln gegeben, aber der sei längst zu.

Also muss man nordwärts weiter, am Tempelhofer Damm entlang. In der nächsten Einfahrt steht ein Polizei-Opel. Präventiv, wie der Fahrer erklärt, denn hier sei Feuerwehrzufahrt und deshalb absolutes Halteverbot. Manche Eltern missachteten es, wenn sie ihre Kinder auf den Spielplatz nebenan brächten. Im Moment steht aber nur das Polizeiauto hier.

In der nächsten Nische wenden und pausieren der 140er und der 184er Bus, dann folgen ein U-Bahn-Ausstiegsschacht und ein Parkplatz mit folgender Beschriftung: „Diese Tür ist ständig – auch bei zeitweiligem – Aufenthalt verschlossen zu halten. Reparaturen sind grundsätzlich untersagt.“ Ein Tor weiter gibt es Instruktionen per Telefon: Der Uralt-Apparat wählt automatisch, sobald der Hörer abgehoben wird. „Richter, Flughafen Tempelhof“ meldet sich. Er ist genauso erstaunt wie man selbst und sagt dann, dass es sich um Tor 10 handle, das gar nicht benutzt werde. Auch das antike Telefon werde sonst nicht missbraucht.

800 Meter nach dem Start des Spaziergangs beginnt der Gebäudekomplex des Flughafens, in der Zufahrtsstraße liegen noch die Schienen des ehemaligen Gleisanschlusses. Sie führen durch einen Tunnel hinter den Hangars. Dunkel und ruhig ist es hier, umbaute Höfe zweigen ab. Schilder weisen zu Sanitär-, Computer- und Fensterfirmen, zur Verkehrslenkung des Senats und zum Personalrat der BSR. Rechts hat der Fachbetrieb „Burn Out – Jürgen’s Motorrad Bereifung“ sein Quartier; der gefühlte Vermietungsgrad liegt bei zehn Prozent.

Hinter dem „Event-Center Hangar 2“ ist plötzlich Schluss: Wieder Stacheldraht; unbemerkt hat man die Haupthalle unterquert und die Kurve zum Columbiadamm genommen. Gras wächst zwischen Plattenfugen, Autos verrotten, Menschen sind nicht in Sicht. Hinter einer Tankstelle aus Wirtschaftswunderzeiten kommt bei Kilometer 2,5 erstmals ein Flugzeug in Sicht: Eine C 54 Skymaster, von Rosinenbomber-Pilot Gail Halvorsen 1971 hierher geflogen. Ringsum gemähtes Gras, dann die Mauer des Friedhofs am Columbiadamm. Der umgibt auch die prächtige Sehitlik-Moschee und reicht ostwärts bis zum Sommerbad Neukölln. An „Zwicki’s“ Würstchenbude, wo der Kaffee 60 Cent und das Nackensteak 2,80 Euro kostet, geht’s rechts in die Straße 645, vormals Straße 609. Ein Weg nur zwischen Zaun und Büschen. Zwei Typen mit Hund und Getränken kommen vorbei und sehen so aus, als würden sie ihre Flaschen nach Leerung nicht unbedingt selbst wegräumen.

Eine Infosäule an der Oderstraße zeigt Fotos von weidenden Schafen und der Frühjahrsparade 1901 und teilt mit, dass 1968 wegen des Fluglärms 64 Prozent der Anwohner Schlaf- und Beruhigungsmittel nahmen. Im Gegensatz zur Tempelhofer Seite ist das Gelände hier leicht erhöht, was den Blick aufs Flugfeld ermöglicht. In Verlängerung von Kienitzer und Leinestraße gibt’s sogar noch alte Treppen hinab zum Wiesenmeer. Dann der Schwenk ums Ende der Südbahn, ein Jugendzentrum, der Imbiss „Zur Flugschneise“, Sportvereine und schließlich wieder eine Bahn-Landwirtschaft. Unterbezirk Neukölln diesmal, Gruppe Neuköllner Berg. Schon wieder Berg. 18 Briefkästen, auf 14 klebt ein Werbe-Verbot, unter einem liegt eine Ansichtskarte: Helga und Manfred senden herzliche Grüße aus Kärnten. Ein Mann schließt das Tor, sagt: „Hier hinten kommen noch die mit den Hunden, dann ist Schluss. Und der Zaun soll mal lieber bleiben.“

Ein holpriger Sandweg führt zu den Hunden, von denen gerade nur Haufen und Gekläff zu bemerken sind. Es gibt hier mehr Wohnwagen als Lauben, so dass der Neuköllner Berg verrümpelter wirkt als der Tempelhofer. Dann ein Rondell, eine letzte Parzelle, Ende, nach sieben Kilometern. Hier fehlt der Weg, von dem Herr Witt erzählt hat. Die Runde lässt sich nur mit der S-Bahn vollenden. Noch.

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