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Mohammed Sidki mit seiner Maschine vom Typ Klemm 25a.

© Privatarchiv Sidki

Flughafen Tempelhof in den 1920ern: Als Tempelhof noch größer als Paris war

Vor 90 Jahren gelang es Mohammed Sidki als erstem Ägypter, das Mittelmeer mit dem Flugzeug zu überqueren. Er startete in Berlin.

Von Andreas Austilat

Als die Maschine am Sonntag, den 26. Januar 1930, also vor exakt 90 Jahren endlich auf dem Flughafen von Kairo zur Landung ansetzte, erwarteten den Piloten 10.000 jubelnde Zuschauer. In der Presse wurde Mohammed Sidki am nächsten Tag der ägyptische Charles Lindbergh genannt, seine Fahrt in die Stadt glich einem Triumphzug, denn der 31-Jährige hatte als erster Ägypter den Flug über das Mittelmeer gewagt. Begonnen aber hatte sein Abenteuer in Berlin-Tempelhof.

Zu den wenigen, die sich heute hierzulande noch an die Pioniertat erinnern, gehört Ulrike Sidki. Die 62-Jährige lebt mit ihrem Mann Tarek, einem Enkel Mohammed Sidkis, im Landkreis Garmisch Partenkirchen. An diesem Wochenende sind beide in Ägypten, eingeladen vom dortigen Luftfahrtminister – als Ehrengast zur Feier des 90. Jahrestages von Sidkis Flug Berlin – Kairo.

Lebensgefährliches Kunststück

1930 mehrte die Mittelmeerüberquerung auch ein wenig den damaligen Ruf des Flughafens Tempelhof. Der war seinerzeit ein wichtiges europäisches Drehkreuz in der aufstrebenden Luftfahrtbranche, hatte ein höheres Passagieraufkommen als die Konkurrenz in Paris und London. 41.000 waren es im Jahr 1928. Es gab Verbindungen nach Amsterdam mit Anschluss nach London und nach Königsberg mit Anschluss nach Moskau.

Pioniere kundschafteten immer kühnere Routen nach Südostasien und mit Flugbooten nach Südamerika aus. Der Versuch, das Kunststück nachzuvollziehen, das Charles Lindbergh mit seiner Atlantiküberquerung 1927 vollbracht hatte, war jedoch nach wie vor lebensgefährlich. Von 31 Versuchen in den folgenden drei Jahren gingen 21 schief.

Nicht nur große Maschinen, auch Wiener Würstchen lernte Mohammed Sidki in seiner Berliner Zeit schätzen.
Nicht nur große Maschinen, auch Wiener Würstchen lernte Mohammed Sidki in seiner Berliner Zeit schätzen.

© Privatarchiv Sidki

Mohammed Sidki brauchte für seinen Erstflug 43 Tage. Es hätte mit Sicherheit schnellere Wege gegeben, von Berlin nach Kairo zu kommen. Seine Hopserei von Ort zu Ort glich eher einer Odyssee. Doch Fliegen war damals noch ein Abenteuer. In Kairo kam sogar Howard Carter, um ihm zu gratulieren. Der Brite genoss selber Weltruhm, seit er das mit Goldschätzen üppig gefüllte Grab des Pharaos Tutanchamun entdeckt und damit in den 1920er Jahren rund um den Globus eine Ägyptomanie ausgelöst hatte. Doch auch die Deutschen reklamierten wenigstens einen Teil von Sidkis Erfolg für sich.

Kinder wohlhabender Familien gingen ins Ausland

Der hatte seinen Flug nicht nur in einer Maschine vom Typ Klemm 25 absolviert, ein brandneuer Zweisitzer eines schwäbischen Startups, wie man heute sagen würde. Sidki hatte auch in Berlin studiert, dort seine Frau kennengelernt und schließlich seinen Flugschein gemacht.

Fotos aus den 20er Jahren zeigen ihn als gutaussehenden jungen Mann, der einen Wurstkessel in die Kamera hält oder auch mal ein Bier, während er vor einer Kneipe lässig auf einem Motorrad sitzt. Die Ägypter hatten 1919 gegen die britische Besatzung aufbegehrt. Wohlhabende Familien wie die Sidkis, sein Vater war Artillerieoffizier, schickten ihre Kinder zur Fortbildung ins Ausland.

Ein Ägypter in Berlin. Hier studierte Mohammed Sidki in den frühen 20er Jahren, lernte Motorrad fahren und Wiener Würstchen schätzen.
Ein Ägypter in Berlin. Hier studierte Mohammed Sidki in den frühen 20er Jahren, lernte Motorrad fahren und Wiener Würstchen schätzen.

© Privatarchiv Sidki

Der Sprössling, gerade 21 Jahre alt, kam auf diese Weise mit einem Freund nach Berlin, schrieb sich für Wirtschaftswissenschaften ein, hatte aber noch andere Interessen: Er machte seinen Motorradführerschein und ging zum Tanztee.

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Franziska Bach, eine Ur-Ur-Ur-Enkelin von Johann Sebastian, jedenfalls erzählt man sich das in der Familie Sidki heute, sprach Englisch, wurde erst Mohammeds Tanzpartnerin, heiratete ihn schließlich, das Paar bezog eine Wohnung in der Ringbahnstraße 3. Doch 1923 gingen die beiden nach Kairo. Ägypten war seit einem Jahr ein unabhängiges Königreich.

Nonstop von Paris nach Königsberg

Ein Freund der Familie gründete das erste Bankhaus in ägyptischer Hand und verschaffte Sidki dort einen Job. Der aber hatte andere Pläne. „Als Edison die Glühbirne erfand“, schrieb er selbst in einem Essay, „dachten viele, mehr Innovation braucht es nicht“. Doch schon kurz darauf sei der drahtlose Funk erfunden worden. Auch Sidki wollte nicht stehenbleiben, so seine Botschaft. Er, der mit seinem Motorrad immer wieder Spritztouren in die Wüste unternommen hatte, träumte vom Fliegen, seine Frau Franziska bestärkte ihn darin.

So wurde Mohammed Sidki in Kairo am 26. Januar 1930 empfangen.
So wurde Mohammed Sidki in Kairo am 26. Januar 1930 empfangen.

© Privatarchiv Sidki

Sidki machte seinen Flugschein und erwarb eine Maschine. Über 100 Passagiere beförderte er binnen eines Jahres, meist für Rundflüge, auch über Tempelhof. Und er beteiligte sich an Wettflügen, etwa nonstop von Paris nach Königsberg. Sein Ziel aber blieb es, als Erster Kairo anzusteuern, ein Unterfangen, zu dem diverse Behörden ihr Einverständnis geben mussten. Schließlich erteilte das Deutsche Außenministerium am 13. Dezember 1929 die Genehmigung.

Das Fliegen war damals vom Wetter abhängig

Schon einen Tag später stand Sidki um acht Uhr früh startklar auf dem Flugfeld in Tempelhof. Ehefrau Franziska kam mit dem dreijährigen Sohn zur Verabschiedung, ebenso der ägyptische Botschafter, der Sidki einen seltsamen Passagier mit auf die Reise gab: ein kleines Krokodil. Doch widrige Winde verzögerten den Start um dreieinhalb Stunden.

Überhaupt war die Fliegerei damals extrem witterungsabhängig, zumal im Winter. Die Piloten flogen meist auf Sicht. Niedrige Wolkendecken machten das Unterfangen extrem riskant, vor allem, wenn mit Bergen zu rechnen war. So saß Sidki gleich zu Beginn in Dresden wieder fest, erkundete den nächsten Abschnitt sogar per Bahn, um sich einen Eindruck vom mitunter engen Elbtal zu verschaffen und ob es möglich wäre, der Elbe in Bodennähe zu folgen. Das zitternde Krokodil brachte er im Hotel Ambassador unter, wie er schrieb.

Über dem Flughafen Tempelhof drehte Sidki in den 20er Jahren Übungsrunden.
Über dem Flughafen Tempelhof drehte Sidki in den 20er Jahren Übungsrunden.

© Privatarchiv Sidki

In einem Brief an seinen Flugzeugkonstrukteur Klemm schilderte er den Verlauf der weiteren Reise, eine Kette von Beinahe-Bruchlandungen im Schneesturm bei Pilsen, im Nebel vor Venedig, auf Streusand und im strömenden Regen bei Brindisi. In nur 300 Metern Höhe überquerte er das Meer 600 Kilometer weit bis Tripolis, der Regen auf der Fliegerbrille nahm ihm mehr als einmal die Sicht. Seine zwergenhafte Klemm aber hielt schadlos durch, bis zur Landung in Heliopolis, damals ein wohlhabender Vorort Kairos, heute längst ein Stadtteil der Millionenstadt und Sitz des internationalen Flughafens,

Mohammed Sidki löste nicht zuletzt deshalb in seiner Heimat wahre Begeisterungsstürme aus, weil Ägypten auch acht Jahre nach der Unabhängigkeit unter starkem britischem Einfluss stand. Die Briten kontrollierten zum Beispiel damals den noch jungen ägyptischen Flugverkehr. Ein Gedicht wurde für ihn verfasst, seine Tat als der eines Pharaonen würdig gefeiert. Auch das Krokodil soll den Trip übrigens überlebt haben; soviel Ulrike Sidki zu berichten weiß, kam es in den Zoo von Kairo.

Zwei Jahre später wurde „Misr Air“ gegründet, die erste nationale Fluglinie in ägyptischer Hand. Misr heißt Ägypten in der Landessprache, die Gesellschaft wurde später in Egypt Air umbenannt. Gründungsmitglied und erster Chefpilot war Mohammed Sidki. Seine Klemm stand fortan im Garten seines Anwesens in der Abu Simble Road. Sidki erlitt 1945 im Yachtclub von Gizeh einen tödlichen Herzinfarkt, seine Frau Franziska überlebte ihn um mehr als 30 Jahre, starb 1981 in Kairo. Und Berlin ist schon lange kein Drehkreuz mehr im internationalen Luftverkehr.

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