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070617luftbruecke

© Kai-Uwe Heinrich

Flughafen Tempelhof: Wo Berlin den Himmel berührt

Tempelhof war immer mehr als ein Flughafen. Es ist ein Symbol, ein Mythos, ein Ort für Sehnsüchte und steht für den Glanz und Schrecken des 20. Jahrhunderts.

Wäre der Flughafen Tempelhof einfach nur ein Bauwerk, dann könnten wir wahrscheinlich sogar entspannt darüber reden. Aber er ist mehr: ein Mythos, wie in jedem einschlägigen Text zu lesen ist, und was für einer. Er steht für die Nazi-Architektur in ihrer äußersten Zuspitzung, für die Rettung des freien Berlins und für ungehinderten Zugang jenseits der DDR- Grenzschikanen, sogar für ein wenig Hollywood-Glamour. Der Flughafen Tegel löste ihn ab, rein verkehrstechnisch gesehen, der Mythos blieb. Der Flughafen Berlin-Brandenburg International mag sein Ende besiegeln. Doch ist dieses Ende wirklich so nah, wie es die Offiziellen der beiden Länder gern hätten?

Die Auffassungen prallen nach wie vor hart aufeinander: Die einen sehen im Flughafen Tempelhof ein Fossil, das in einer dicht besiedelten Innenstadt keinen Platz mehr hat, die anderen werten gerade diese Lage als Vorteil, finden ihn verkehrsgünstig gelegen und übersichtlich, gewissermaßen das letzte Überbleibsel einer Zeit, da die Lust am Reisen noch nicht unter Warteschlangen und lähmenden Sicherheitsprozeduren erstickt wurde, als Fliegen ein Kampf mit der Natur war und kein langweiliges Herumsitzen in computergelenkten Großraumflugzeugen.

Dieser Mythos ist so viel farbenprächtiger als das kleinlich wirkende Umwelt-Argument, verführerischer als die dröge Wortgymnastik, mit der Stadtentwicklungssenatorin Junge-Reyer das „Verwaltungsverfahren zur Entlassung der Tempelhofer Flughafenflächen aus der luftverkehrsrechtlichen Zweckbestimmung“ verkündete – das planungsrechtliche Ende. Allerdings scheint es so, als seien auch in Tempelhof jene Bürger in der Minderheit, die sich mit der Senatorin auf eine „Fantasie und Kreativität anregende Freifläche“ freuen. Die könnte durchaus zur berüchtigten Berliner Mischung aus Geiz-ist-geil-Märkten und Hundeklo verkommen; die Gegend ist mit Grün schon jetzt nicht schlecht versorgt.

Die Debatte ist vor allem deshalb so heikel, weil kaum ein eingeborener Berliner dem einstigen Zentralflughafen der Stadt neutral gegenübersteht. Emotionen sind immer im Spiel, vor allem bei den Angehörigen jener Generation, der die 227 000 Einsätze alliierter Maschinen im Rahmen der Luftbrücke Freiheit und Leben retteten; kaum weniger bei jenen, die in den heißen Jahren des Kalten Kriegs lieber mit Pan Am, BEA oder Air France nach „Westdeutschland“ flogen, als sich den Ungewissheiten einer Bahnfahrt oder einer Fahrzeugkontrolle in Dreilinden oder Marienborn auszusetzen. Jene, die sich daran erinnern, kommen naturgemäß überwiegend aus dem alten West-Berlin. Ost-Berliner können mit dem Mythos weniger anfangen, sehen die gegenwärtig vermutlich letztmals angeheizte Debatte gelassener.

Der Flughafen Tempelhof ist das größte existierende Zeugnis der wahnhaften Nazi-Architektur, eines der größten Gebäude der Welt: Der Architekt Ernst Sagebiel erfüllte Hitler jeden Wunsch und entwarf für den schon 1923 eröffneten Flughafen „Worte aus Stein“, die in die „Jahrtausende der Zukunft“ hineinragen sollten: Kantige, nackte Fassaden, Kathedralenfenster, riesige Säulen und Treppenhäuser, aufgerichtet auf einem Grundriss, der die Prinzipien absolutistischer Schlösser aufnahm – auch und vor allem eine Tribüne zur Abnahme riesiger Siegesparaden, die aus bekanntem Grund ausblieben. Der Hinweis auf Hitlers Größenwahn allein unterschlägt aber die architektonische Bedeutung des Baus. Sir Norman Foster beispielsweise bezeichnete ihn als „Mutter aller Flughäfen“, es war der weltweit erste Entwurf mit getrennten Funktionsebenen für An- und Abflug und Fracht, die zudem auch Platz für Restaurants, Gästebetten, Büros, Tagungsräume boten.

Noch vor der Bauabnahme aber kam die Rote Armee, dann folgten die amerikanischen Truppen, die sich den teils noch im Rohbau steckengebliebenen Komplex für ihre Zwecke zurechtmachten. In das Restaurant wurde eine Bowlingbahn eingebaut, der Festsaal zur Basketballhalle umfunktioniert; die Anzeigetafeln für „Home“ und „Visitors“ stehen heute unter Denkmalschutz. Dann gingen die Bilder der Luftbrücke um die Welt, der Mythos Tempelhof löste sich aus der Zwangsverbindung mit dem Nazi-Wahn und bereicherte die Geschichte der Freiheit.

1950 wurde ein erster Teil des Flughafens wieder für den zivilen Flugverkehr freigegeben. Die Passagierzahl wuchs in wenigen Jahren auf 650 000 (1954), dann nach und nach auf über sechs Millionen im Jahr 1975. Im selben Jahr kam aber auch das vorläufige Ende Tempelhofs: Der Flughafen Tegel mit seinen größeren Abfertigungskapazitäten und längeren Landebahnen war endlich fertig, Tempelhof wurde als Zivilflughafen geschlossen.

Das schmerzte die Berliner damals wenig, weil die US-Truppen weiter präsent blieben und etwa die Tradition der „Tage der Offenen Tür“ auf dem Flugfeld am Leben erhielten – ungeheuer beliebte Veranstaltungen mit Flugzeug-Gucken, Barbecue und gigantischen Eisbechern original amerikanischer Herkunft. 1976 landete dabei sogar eine – unbeladene und nur minimal betankte – Boeing 747 der Pan Am.

Der Neubeginn des zivilen Flugbetriebs 1985 für kleinere Maschinen brachte Tempelhof wieder in die internationalen Flugpläne. Das betraf allerdings vor allem Geschäftsflüge; populär blieb das Gelände eher durch Sondernutzungen wie das Megafeuerwerk, das 1987 anlässlich des Stadtjubiläums hunderttausende Menschen anzog.

Tempelhof 2007 ist ein Flughafen im Wartestand, verkehrsmäßig weitaus unbedeutender, als die schiere Größe der Halle suggeriert. Vor allem Freitagabend, wenn sich Geschäftsreisende und Politiker nach Brüssel, Mannheim, Saarbrücken oder Graz begeben, und Montagvormittag, wenn sie wieder zurückkommen, herrscht einen Moment lang fast so viel Leben wie in den Glanzzeiten des Airports. Wenig später ist Ruhe, jeder Schritt hallt laut auf dem grauen Linoleum, jeder Passagier wird betreut, als stünde er auf einer VIP-Liste ganz oben. Manchmal rauscht ein Filmstar aus seinem Privatjet durch die Räume und beschwört Erinnerungen an alte Zeiten herauf. „Zentralflughafen“ verkünden die Leuchtbuchstaben über dem Eingangsportal, denkmalgeschützt auch sie. Aber mit der Realität 2007 hat dieser Begriff nichts mehr zu tun.

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