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Mangelware. An der Zille-Schule in Berlin-Friedrichshain wurde die Sozialarbeit von Senat gänzlich gestrichen.

© Doris Spiekermann-Klaas

„Forum Zukunft Soziale Arbeit“: Berlin laufen die Sozialarbeiter weg

Allein in den Jugendämtern sind 119 Stellen unbesetzt. Das wahrscheinlich größte Problem ist die geringe Höhe der Vergütung von sozialer Arbeit.

Egal, ob in Schulen oder Flüchtlingsunterkünften, in der Betreuung von Obdachlosen oder bei der Arbeit im Frauenhaus: Sozialarbeiter werden in Berlin dringend gebraucht. Allerdings fehlt es an Fachkräften. Allein in den Berliner Jugendämtern blieben im Juli 119 von 900 Stellen unbesetzt. Bezirksämter und freie Träger klagen, es gebe nicht genügend Bewerber. Parallel dazu gehen ältere Mitarbeiter in Ruhestand, ihre Stellen können vielfach nicht neu besetzt werden.

Zentrales Problem, darin sind sich alle einig, ist die schlechte Entlohnung. „Wenn man einen Klempner braucht, ist es selbstverständlich, für eine Stunde Arbeit 75 Euro zu bezahlen. In vielen Feldern erhalten wir für eine Beratungsstunde aber nur 25 Euro,“ sagt Niels Spellbrink, Geschäftführer des Internationalen Bundes (IB) Berlin-Brandenburg. „Das kann einfach nicht sein.“

Der IB unterhält Flüchtlingsheime und Kindertagesstätten und ist außerdem in der Wohnungslosenhilfe tätig. Die täglichen Anforderungen für die Mitarbeitenden sind enorm: Pädagogisch gut ausgebildet müssen sie sein, psychologisch geschult und sensibel. Juristische Fachkenntnis ist unabdingbar und soziologisches Hintergrundwissen notwendig, um viele Situationen richtig einzuschätzen. Dazu kommen die Verantwortung für Einzelschicksale und die schwierigen Lebenslagen, mit denen sich die Sozialarbeiter tagtäglich auseinandersetzen. Ein wichtiger Beruf, der Anerkennung braucht - auch finanzielle.

Doch zuletzt ist Bewegung gekommen in die Gehaltsdiskussion: Anfang März wurde eine Tarifeinigung erzielt, nach der die Gehälter der Erzieher sich nun an der Entgelttabelle des Tarifvertrages des Öffentlichen Dienstes orientieren, nicht mehr am Tarifvertrag der Länder, wie es vorher praktiziert wurde. Je nach Berufserfahrung bedeutet das eine Verbesserung von mehreren hundert Euro.

Ab Januar 2020 sollen die Sozialpädagogen und Sozialarbeiter nachziehen: Dann orientiert sich auch ihr Gehalt am TV-ÖD. In Brandenburg ist das übrigens schon seit geraumer Zeit der Fall. Fréderic Verrycken, Staatssekretär der Senatsverwaltung für Finanzen, beziffert den finanziellen Umfang der Gehaltserhöhung für die rund 13 000 Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst auf rund 76,4 Millionen Euro pro Jahr und kündigt an: „Berlin wird im Bereich Soziale Arbeit wieder konkurrenzfähig sein.“

Bürokratisch und nicht bewerberfreundlich

Geld allein wird aber die Probleme nicht lösen. Denn es gibt schlicht und einfach nicht genug erfahrene Fachkräfte im Bereich Sozialarbeit. Fünfzehn Sparjahre mit Personalabbau haben deutliche Spuren hinterlassen. „Erst seit fünf Jahren wird wieder Personal aufgebaut“, sagt Sigrid Klebba (SPD), Staatssekretärin für Jugend und Familie. „Viele Ältere scheiden aus dem Beruf aus, und nur langsam kommen Junge nach.“ Die mittlere Altersgruppe, die für Kontinuität und Erfahrungstransfer sorgen könnte, ist daher nur spärlich besetzt. Es wird zwar kräftig ausgebildet – die Studiengänge der Alice Salomon Hochschule für Soziale Arbeit beispielsweise sind voll ausgelastet. Die Hochschule muss Bewerber sogar ablehnen. In der nächsten Zeit will die Hochschule das Angebot so ausbauen, dass dort über 5000 Studenten lernen können. Bis aber das Defizit aufgefüllt ist, wird es noch dauern.

[Am heutigen Dienstag veranstaltet der Tagesspiegel das „Forum Zukunft Soziale Arbeit“ im Verlagshaus ab 15.30 Uhr.]

Außerdem wurde in den Sparjahren nicht nur Personal gekürzt, sondern auch die Finanzierungsstruktur umgebaut. Viel Sozialarbeit wird seitdem als Projekt ausgeschrieben. Und das bedeutet Befristung, häufig auf drei Jahre. „Das ist unheimlich bürokratisch und überhaupt nicht bewerberfreundlich,“ sagt Niels Spellbrink vom Internationalen Bund. „Wenn man alle drei Jahre weiß: mein Job endet, wie soll man denn da zu zur Ruhe kommen?“

Auch Olaf Neumann, Prorektor der Alice Salomon Hochschule, kritisiert den Projektcharakter in vielen Bereichen der Sozialen Arbeit: „Wir arbeiten ja mit Menschen, also mit Beziehungen. Und die müssen für die Nutzerinnen und Nutzer verlässlich sein.“ Überhaupt wünscht sich Neumann, dass die Politik klüger und vorausschauender planen würde, um soziale Verwerfungen gar nicht erst entstehen zu lassen. Hieran mitzuwirken – auch das wäre für ihn eine Aufgabe der sozialen Arbeit.

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