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Zwei Damen sitzen bekleidet in Kimonos in einem japanisch eingerichteten Zimmer und halten Teetassen in der Hand.

© Berliner Leben

Fraktur! Berlin-Bilder aus der Kaiserzeit: Japanisch für Fortgeschrittene

Die Opernsängerin Ema Destinóva richtet sich 1906 in ihrer Wohnung ein japanisches Zimmer ein - und ist damit ganz en vogue. Auch Jugendstil-Künstler haben ein Faible für Fernöstliches.

Was macht eine viel beschäftigte Operndiva in ihrer knapp bemessenen Freizeit? Richtig, sie leistet sich eine auffällige Extravaganz. Die Sopranistin Ema Destinóva lädt zum Fototermin in ihr japanisches Zimmer, wo sie sich gemeinsam mit Fräulein Janke, vermutlich ihrer Hausdame, bei einer traditionellen japanischen Teezeremonie ablichten lässt. Beide Frauen tragen Blumenschmuck im Haar und Kimono, sitzen auf Knien mit Teetässchen in der Hand, umgeben von japanischen Vasen, japanischem Wandschmuck und japanischen Möbeln.

Fernöstliche Fremde mitten in Berlin – wie aufregend! Dabei hat die Destinóva, die in Deutschland Emmy Destinn genannt wird, zusätzliche Aufmerksamkeit gar nicht nötig. Die 1878 geborene Tochter des Kulturförderers Emanuel Kittl gilt als musikalisches Wunderkind. Früh lernt das Mädchen Violine. Mit acht Jahren gibt sie ihr erstes Konzert. Sie nimmt Gesangsunterricht bei einer Lehrerin namens Destinóva, deren Namen sie aus Dankbarkeit als Künstlernamen wählt. Nach ihrem erfolgreichen Debüt an der Dresdener Hofoper wechselt sie 1898 an die Berliner Königliche Oper, verpflichtet für fünf Jahre.

Ema Destionóva singt später an der Seite von Enrico Caruso

Im November 1906, als das Bild in der Zeitschrift "Berliner Leben" erscheint, bereitet sie sich am Königlichen Opernhaus auf die Titelrolle in der Oper "Salomé" vor, die der Komponist Richard Strauss selbst dirigieren wird. Das Skandalstück um die blutrünstige Tochter des Herodes nach der Vorlage von Oscar Wilde ist voll von Erotik und Gewalt – und hat schon andernorts Aufsehen erregt. Klerus und Kritik empfinden das Tête-à-tête der Königstochter mit dem abgeschlagenen Kopf des Jochanaan und den halbnackten "Tanz der sieben Schleier" als Zumutung. Für die Aufführung in Berlin soll sich eine einflussreiche Person am Berliner Hof bei Kaiser Wilhelm II. eingesetzt haben. Für die Destinóva bedeutet die Salome dennoch den Durchbruch. Sie wird zur Primadonna, spielt Dutzende Titelrollen, 1908 tritt sie an der Met in New York auf und singt 1910 auch an der Seite des größten der Tenöre, Enrico Caruso.

Noch einen Tee? Mit ihrem Faible für japanische Lebensart ist Ema Destinóva ganz en vogue. Sie teilt diese Leidenschaft mit dem Maler, Grafiker und Kunsthandwerker Emil Orlik. Der ebenfalls aus Prag stammende Sohn eines jüdischen Schneiders, acht Jahre älter als die Opernsängerin, hat als Mitglied der Wiener Secession um die Jahrhundertwende Japan bereist. Inspiriert von Technik und Motivik des japanischen Holzschnitts kehrt er zurück und wird zu einem bedeutenden Vertreter des Japonismus, der viele Jugendstilkünstler beeinflusst. Seit 1905 ist Orlik Professor an der Staatlichen Lehranstalt des Berliner Kunstgewerbemuseums, beteiligt sich an zahlreichen Ausstellungen der Berliner Secession. Im selben Jahr beginnt seine langjährige Zusammenarbeit mit Max Reinhardt, für dessen Inszenierungen am Deutschen Theater er Bühnenbilder und Kostüme entwirft. Am Kulturleben der Stadt nimmt Orlik regen Anteil, tauscht sich aus mit Literaten, Komponisten, Schauspielern.

Wir wissen nicht, ob sich Emil Orlik und Ema Destinóva bei einer der zahllosen gesellschaftlichen Gelegenheiten begegnet sind, ob sie Bekanntschaft schlossen, ob Orlik vielleicht selbst etwas zur Einrichtung ihres japanischen Zimmers beigetragen hat, ob die beiden dort gar gemeinsam Tee getrunken haben. Um eine Konversation über Prag, Berlin und den fernen Osten wären sie gewiss nicht verlegen gewesen.

Alle Beiträge unserer Serie mit Berlin-Bildern aus der Kaiserzeit lesen Sie unter: www.tagesspiegel.de/fraktur

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