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Gesellige Händler. Auf gute Geschäfte - und die Kunst der Reklame! Berliner Kaufleute feiern 1909 den Abschluss des ersten Schaufenster-Wettbewerbs im Hotel "Kaiserhof".

© Berliner Leben

Fraktur! Berlin-Bilder aus der Kaiserzeit: Männer fürs Schaufenster

Berliner Kaufleute feiern 1909 die Vereinigung von Kunst und Reklame - beim ersten Schaufenster-Wettbewerb gestalten Werkbund-Künstler die Auslagen von Geschäften.

Die Konkurrenz schläft nicht. Nein, sie ist hellwach und in Harmonie vereint. Es gibt etwas zu feiern, und es geht ausnahmsweise nicht um Umsätze und erfolgreiche Geschäftsabschlüsse, sondern um eine neue Kunstform: die Inszenierung der schönen neuen Warenwelt, die „vornehme Reklame“. Zum Abschluss des ersten „Schaufenster-Wettbewerbs für Groß-Berlin“ haben sich im September 1909 Vertreter der Berliner Geschäftswelt im Hotel „Kaiserhof“ mit Künstlern und Kunstkritikern zum Familienbild für die Zeitschrift „Berliner Leben“ versammelt. Unter den Anwesenden: Arthur Jacoby vom Schuh- und Textilhaus Emil Jacoby aus der Friedrichstraße (ganz links), Wilhelm Quantmeyer, führender Händler für Teppiche und Bodenbeläge an der Wilhelmstraße (4. v. links). Generaldirektor Albert Willner von den Ausstellungshallen am Zoo ist da, ebenso Ernst Burchardt aus dem Hause „Adolph Burchardt und Söhne“, Tapeten, Cretonnes, Wand- und Möbelstoffe (ganz rechts außen), der Jugendstil-Architekt und Designer August Endell und der Kunstkritiker Max Osborn. Wir wollen die Gastgeber nicht vergessen: Fritz Gugenheim vom „Seidenhaus Michels“ ist Vorsitzender des Verbandes der Berliner Spezialgeschäfte. Dr. August Koppel vertritt als Generalsekretär den Verein Berliner Kaufleute und Industrieller. Und schließlich der Herr mit den gefalteten Händen im Schoß in der Bildmitte: Kommerzienrat Emil Jacob, Vorsitzender der Centralstelle für die Interessen des Berliner Fremdenverkehrs.

Beim Diner im Kaiserhof ist sich die Gesellschaft einig: Der Schaufenster-Wettbewerb war ein voller Erfolg. Es wird beschlossen, ihn fortan alljährlich zu wiederholen. An dem dreitägigen Wettbewerb vom 21. bis 23. September 1909 sind 201 Geschäfte beteiligt, große Warenhäuser ebenso wie Fachhändler. Die Dekorationen und Ausstattungen der Ladeneinrichtungen und Schaufenster haben Künstler gestaltet, die dem Deutschen Werkbund angehören. Diese 1907 gegründete Vereinigung von Designern, Kunsthandwerkern, Architekten und bildenden Künstlern verschreibt sich der Warenästhetik im Zeitalter der Massenproduktion. Die Berliner Designerin Lilly Reich übernimmt die Dekoration der Elefanten-Apotheke. August Endell gestaltet die Auslagen des Salamander-Schuhhauses. Der Designer Lucian Bernhard entwirft Signets für das Schuhwarengeschäft Stiller. Eine Fachjury verleiht als höchste Auszeichnung Silbermedaillen an 13 Geschäfte, 50 weitere erhalten Urkunden.

Werbung wird zum Kulturgut

Die Schaufenster-Reklame gilt als neue Kommunikationsform zwischen dem kommerziellen und dem öffentlichen Stadtraum. Die Werkbund-Künstler verstehen ihre Arbeit als Bildungs- und Erziehungsauftrag: Werbung soll den guten Geschmack entwickeln – und bei Kunden nicht nur einen Kaufanreiz erzeugen, sondern auch den Kunstsinn anregen. Werbung wird als Kulturgut aufgefasst.

Der Berliner Handelsverband fordert nach der erfolgreichen Premiere des Schaufenster-Wettbewerbs eine Liberalisierung der „Verordnung über die äußere Heilighaltung der Sonn- und Feiertage“, die das „Aushängen und Aufstellen von Waren nur während der zulässigen Verkaufszeit gestattet“. Die Händler wollen ihre Auslagen während der Schließzeiten nicht länger hinter Vorhängen verstecken müssen. Die „Schaufensterfreiheit“ fördere die Wirtschaft und den Fremdenverkehr, argumentiert der Handelsverband – zudem würden durch die freie Sicht in die Geschäftsräume Ladeneinbrüche erschwert.

Die Politik beugt sich schließlich dem Druck der Wirtschaft. Der Flaneur darf jetzt auch sonntags auf den Geschmack kommen.

Alle Beiträge unserer Serie mit Berlin-Bildern aus der Kaiserzeit unter www.tagesspiegel.de/fraktur

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