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Eine Gruppe von Offizieren und Soldaten hat sich zu Weihnachten vor dem Gabentisch versammelt.

© Berliner Leben

Fraktur! Berlin-Bilder aus der Kaiserzeit: Stillgestanden zur Bescherung

Der Drill ist hart und das Leben der einfachen Soldaten karg in der Kaiserzeit. Zu Weihnachten kehrt ein wenig feierlicher Glanz ein in die Kaserne.

Die Weihnachtszeit drosselt Tempo und Tumult in der Reichshauptstadt, auch in den Stätten des Kriegshandwerks kehrt Frieden ein. Die Kompanie ist zur Bescherung angetreten. "Weihnachten in der Kaserne", ist das Bild in der Zeitschrift "Berliner Leben" vom Dezember 1903 unterschrieben. Feierlich haben sich die Soldaten vor dem Gabentisch versammelt, Postpakete stapeln sich für die Rekruten, aber bevor es so weit ist, hat der Hauptmann das Wort. In der Zeitschrift "Jugend", ebenfalls vom Dezember 1903, hört sich das so an:

"Leute! Wie ihr alle wisst, feiern wir heute das liebe Weihnachtsfest, den Tag, an dem vor bald 2000 Jahren der Heiland der Welt geboren wurde. Es ist darum ein Fest der Freude für die ganze Christenheit, und um die Freude noch zu erhöhen, beschenkt man sich. Darum sollt auch ihr euch über die kleinen Geschenke, die ihr bekommt, recht freuen. Und ich wünsche euch überhaupt, dass ihr euch heute und an den Festtagen recht gut amüsiert; aber – dass ihr euch nicht mit schlechten Dirnen herumtreibt. Wer mir nach den Feiertagen krank daherkommt, fliegt ins Loch! Merkt euch das, ihr Bengels! So, Feldwebel, lassen Sie singen: ,Stille Nacht, heilige Nacht …‘ "

Für jede Kompanie gibt es 150 Liter Freibier fürs Prosit aufs Christkind

Die amtliche Statistik zählt 1903 in Berlin 1 955 910 Einwohner, davon gehören 23 194 zur "Militärbevölkerung", einschließlich Familienangehörigen und Veteranen. Die kaiserliche Armee ist der größte Brotgeber der Stadt. In den Jahren seit 1880 hat die Berliner Garnison kräftig aufgerüstet, die Stadt ist um 1900 "das wohl vielseitigste, modernste und größte militärische Zentrum der Welt", schreibt der Historiker Hermann Teske. Zu den etwa 100 Standorten zählen Kasernen und Exerzierplätze, Munitionsfabriken, Militärtechnische Akademie, Lazarette, Heeresversuchsanstalt, militärische Turnanstalt, Maschinengewehr-Kompanie, Telegrafenbataillone, Eisenbahner-Regimenter, Luftschiffer-Bataillon, Festungsgefängnis und Veteranenheime. Tausende Rekruten aus dem Reich leisten hier, oft fern der Heimat, ihren zweijährigen Pflichtdienst ab.

Ihr Alltag ist karg, der Drill ist hart, der Umgangston derb, geschlafen wird in Mannschaftsunterkünften, für Privates bleibt kein Raum. Die Bescherung am Heiligen Abend ist ein Glanzpunkt im tristen Soldatenleben. Es kommt zwar nicht der Weihnachtsmann, doch traditionell besucht der Kaiser eine Kaserne, und für jede Kompanie gibt es 150 Liter Freibier fürs Prosit aufs Christkind.

Der einfache Soldat wird in der kaiserlichen Armee weiterhin wie ein Landsknecht behandelt, obwohl vor den Toren der Kasernen mit der Industriegesellschaft längst eine um soziale Anerkennung ringende Arbeiterschaft heranwächst. Doch auch sie steht in Treue fest zu Kaiser und Vaterland. Selbst im Falle eines Angriffskrieges, versichert SPD-Chef August Bebel am 7. März 1904 im Reichstag, "sind wir bis zum letzten Mann und selbst die Ärmsten unter uns bereit, die Flinte auf die Schulter zu nehmen und unseren deutschen Boden zu verteidigen".

Aber nun zur Bescherung. Aus dem Dankesbrief eines Rekruten von 1903: "Liebe Eltern, ich danke Euch sehr für die Worscht. Ich habe mich über die Worscht sehr gefreut. Die Worscht hat sehr gut geschmeckt. Es war sehr viel Worscht. Ich habe der Karline auch von der Worscht gegeben. So gute Worscht hat sie noch nie gegessen. Meine Worscht ist bald weg. Eßt noch nicht alle Worscht auf, damit ich zu Neujahr auch noch Worscht kriege. In der Hoffnung, daß Ihr mir wieder Worscht schickt, bleibe ich Euer theurer Sohn Ignaz."

Alle Beiträge unserer Serie mit Berlin-Bildern aus der Kaiserzeit unter www.tagesspiegel.de/fraktur

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