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Freie Grundschulen: Eine klare Mission: Bete und tobe

An der Evangelischen Schule Lichtenberg zählt nicht allein das Leistungsprinzip. Es geht um Freiräume und Wertschätzung. Und bis zur fünften Klasse geht es auch ohne Noten.

Klar glaubt Celina an Gott. Da hat die Erstklässlerin gar keine Zweifel. Neulich allerdings, da habe eine Freundin gesagt, dass sie froh sei, dass Gott tot ist. Was die blond bezopfte, aufgeweckte Celina ihr da geantwortet hat? Dass das doof ist, so was zu sagen. „Schließlich ist Gott lieb“, sagt die Siebenjährige mit Nachdruck.

Gott, Glaube, Religion sind an der Evangelischen Schule Lichtenberg allgegenwärtig. Getuschte, geknetete und geklebte Kreuze hängen im Andachtsraum oder im Schulflur, allerdings nicht in den Klassenzimmern. Früh gibt es Morgenandachten, mittags Tischgebete, Religion ist Regelfach, und zu besonderen Anlässen wie dem Schulfest zum siebten Schulgeburtstag werden Gottesdienste mit allem Drum und Dran gefeiert.

Gegründet wurde die gebundene Ganztagsgrundschule 2001 auf Betreiben einer Elterninitiative der Paul-Gerhardt-Kirchengemeinde Lichtenberg. Freier Träger ist die Schulstiftung der evangelischen Kirche, die in Berlin und Brandenburg 26 Schulen mit 7000 Schülerinnen und Schülern unterhält.

Den grau verputzten, geräumigen Altbau an der Rummelsburger Straße schräg gegenüber dem U-Bahnhof Friedrichsfelde haben die rund 280 Kinder und 24 Lehrer und Erzieher der Evangelischen Schule Lichtenberg aber erst 2003 bezogen. Und Sandhaufen und Steinstapel auf dem Parkplatz lassen ahnen, dass die Sanierung des Gebäudes und die Schulhofgestaltung noch längst nicht beendet sind.

Religionslehrer Thomas Moldenhauer, 36, ist von Anfang an in Lichtenberg dabei und erinnert sich gut an die Kritik, die die Schulgründung angesichts gleichzeitiger Schulschließungen im Bezirk hervorrief. Dabei verstehe man sich gar nicht als Konkurrenz zu staatlichen Schulen. „Wir sind ein Lebensraum für Kinder, Lehrer und Eltern“, sagt er und ergänzt, dass neben den mehrheitlich evangelischen Schülern auch Kinder katholischer, orthodoxer und konfessionsloser Eltern die Schule besuchen.

Mit autoritären christlichen Erziehungsanstalten, in denen Mädchen und Jungen vor 100 Jahren zu Disziplin und Gottesfurcht gedrillt wurden, hat die Evangelische Schule Lichtenberg absolut nichts gemein. Im Gegenteil. In den Klassen und auf den Fluren herrscht ein ganz und gar partnerschaftlicher Umgangston. Mission könne man diese Lebensgemeinschaft mit einladendem Charakter trotzdem nennen, meint Thomas Moldenhauer. Und Schulleiterin Beate Sommerfeldt, 42, betont, dass die Schule Angebote für ein religiöses Leben mache und dabei jedem Fanatismus fernstehe.

21 kleine Neugierige – Rosas, Karls, Emmas, Philipps, Cosimas oder Mark-Anthonys – sitzen im Kreis auf dem Teppichboden und grübeln im Andachtsraum darüber, was das unfertige Symbol aus Glitzersteinen vor ihnen wohl zu bedeuten hat. „Ein Fisch, unser Schulzeichen!“, tönt es schließlich aus der Runde, und Religionslehrer Moldenhauer spinnt einen kindgerechten Argumentationsfaden vom Geheimzeichen der von den Römern verfolgten Urchristen zum US-Bürgerrechtskämpfer Martin Luther King. „Wir Christen sollen nicht mit Waffen kämpfen“, sagt er zu den Erstklässlern, „aber ein Unrecht wie Apartheid einfach hinnehmen dürfen wir auch nicht.“

Ein Schultag von 8 bis 16 Uhr plus möglicher Zusatzbetreuung von 7.30 Uhr bis 18 Uhr, das bedeutet: viel Platz, um ein ganzheitliches, christliches Bildungsideal zu leben. Wie sich das von staatlichen Schulen unterscheidet? „Lehrer und Erzieher begegnen sich bei uns auf Augenhöhe“, sagt Schulleiterin Sommerfeldt und erläutert, dass jede Klasse von einem Dreierteam aus Klassenlehrer, Teamlehrer und Erzieher geleitet wird. Nicht nur Lernen, sondern Erziehen sei der Schwerpunkt der Schule, und das heiße, herkömmliche pädagogische Berufsbilder aufzubrechen.

Und weil Lernen Spaß machen und kein Wettbewerb sein soll, gibt es bis zur fünften Klasse zwar Verbalzeugnisse, aber keine Noten. Leistung dürfe nicht das einzige Kriterium sein, um Menschen zu beurteilen, sagt die Schulleiterin. Und auch, wer mal schlecht in Mathe sei, könne doch verantwortungsvoll und warmherzig mit seinen Mitschülern umgehen.

Fast überflüssig zu sagen, dass vor diesem Hintergrund der Wertschätzung jedes Individuums den Kindern viel persönlicher Freiraum gelassen wird. Statt starrer 45-Minuten-Schulstunden wechseln sich Konzentrationsphasen mit ruhigen Entspannungs- oder Tobephasen ab. Die Kinder erledigen Aufgaben zusammen oder einzeln im eigenen Tages- oder Wochenplan. Und ein Kuschelsofa gehört genauso selbstverständlich in die Klassenzimmer wie Computer.

Neben offenen Unterrichtsformen gibt es aber auch ganz normale. Religion in Klasse vier sieht aus wie Schule eh und je: Frontalunterricht und Dias zeichnen ein Bild der diakonischen Berufe in Bethel. Das interessiert die Kids, die mit Kooperationspartnern wie den Johannitern oder Kindergärten zukünftig beim „Sozialdiakonischen Lernen“ auch selber außerhalb der Schulmauern Verantwortung übernehmen sollen.

Dann ist es Zeit, im Speisesaal zwischen einem Mittagessen mit Biofleisch aus Brandenburg oder vegetarischer Kost zu wählen. Und was ist mit dem Tischgebet? Das ist der „Mittagskreis“, zu dem sich die Mädchen und Jungen vor der Tafel auf den Boden setzen. Die Lehrerin fragt dann, wie es allen geht, worüber sie sich vormittags geärgert haben oder was sonst noch so anliegt. Und die Kinder erzählen frank und frei, was sie bewegt, und kritisieren Schulerlebnisse, Eltern oder Geschwister. Kleine Überraschung am Rande: Den Gebetsklassiker „Alle guten Gaben“ gibt die Altersklasse zehn bis elf Jahre mal anders – als fetzig zerklatschten Rap.

Entgegen vieler Vorurteile gegen Privatschulen ist die Lichtenberger Schule keine Eliteschmiede. Weniger mit Reichtum gesegnete Eltern können sich vom Schulgeld befreien lassen, und bei der Aufnahme wird Wert auf eine ausgewogene soziale Mischung gelegt. Eine Insel der Seligen ist die Evangelische Schule Lichtenberg nicht, auch hier gibt es schwierige Schüler und desinteressierte Eltern. Ernsthafte Gewaltprobleme auf dem Schulhof sind trotzdem rar. Und damit das so bleibt, werden Schüler als Konfliktlotsen ausgebildet, und jede Klasse hat ihre Streitschlichter.

Die Jungsclique, die eben nach der Mittagspause die Treppe hochkommt, braucht so jemanden nicht. Harald, Jonas, Robert und Malte aus der sechsten Klasse lieben ihre Schule und finden „Gebet und Andacht wichtig, weil’s das Gemeinschaftsgefühl stärkt“. Und Religion? „Super, da erfahren wir, wie man sich vor Sekten schützen kann.“ Wie es ihnen gefällt, dass jetzt erstmals ein muslimischer Schüler auf die Schule kommt? „Gut“, sagen sie. „Bestimmt kann man von dem noch was lernen.“

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