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Berlin: Früher wollte die Politik die beiden Länder vereinigen, das Volk nicht - heute ist alles anders (Kommentar)

Das ist seltsam. Jahrelang hatten die Landesregierungen von Berlin und Brandenburg für eine Fusion beider Länder geworben.

Das ist seltsam. Jahrelang hatten die Landesregierungen von Berlin und Brandenburg für eine Fusion beider Länder geworben. Die Parlamente beschlossen Staatsverträge. Ministerpräsident und Regierender Bürgermeister versicherten unentwegt und einander Hände schüttelnd die Absicht, dass, in aller Freundschaft, nur einer von ihnen beiden übrig bleibe. Aber das Volk bockte. Die Abstimmung über die Vereinigung scheiterte an den Brandenburgern, die sich vor einem starken Berlin fürchteten. Das hatten sie nämlich schon mal. Und heute? Ist alles anders. In der Politik knirscht es, man wendet sich ab. Verbindungen werden aufgelöst oder doch zumindest in Frage gestellt. Aber was macht das Brandenburger Volk? Plötzlich ist es für die Fusion.

Haben die Uckermärker, Priegnitzer und Lausitzer die arroganten Berliner jetzt doch noch lieb? Das ist kaum zu glauben. Und wiederspräche der bisherigen Fusionslogik, derzufolge die Entscheidung nicht rational, sondern emotional getroffen wird. Denn mehr Anlass, verstimmt zu sein über das hochnäsige Berlin, hatten die Brandenburger seit Anfang der neunziger Jahre nicht mehr. Hauptstadt ist alles. Hinterland ist abgebrannt. Stolzen Trotz hätte man erwarten können, nicht einen Meinungsumschwung zugunsten des gemeinsamen Landes.

Wer kann das erklären? Der Ministerpräsident nicht. Manfred Stolpe sagt, er sei "misstrauisch wie eine Katze", mit anderen Worten: Er zweifelt entweder am Können des Umfrage-Instituts infratest dimap - oder, wahrscheinlicher, an der Ehrlichkeit seiner Brandenburger. Ein Misstrauensvotum gegen die eigenen Wähler. Aber wenn sie es nun doch ehrlich meinen?

Skeptisch wie Stolpe gibt sich die PDS, die damals, 1996, gegen die Fusion war, aber heute in dieser Frage konfusioniert. Die Partei der populistischen Sozialisten fürchtet, diesmal nicht auf der Stimmungswelle mitsurfen zu können. Deshalb fordert der Fraktionsgeschäftsführer der PDS, Heinz Vietze, erstmal eine Enquêtekommission. Mit einer ganz normalen Kommission, immerhin, gibt sich der SPD-Landesvorsitzende Steffen Reiche zufrieden. Der SPD-Fraktionsgeschäftsführer Gunter Fritsch will sogar - der weitreichendste Vorschlag - Gespräche mit Berlin aufnehmen. So erfährt man immerhin, dass es bisher anscheinend keine solchen Gespräche gab. So viel zur Ernsthaftigkeit des Versuchs, zwei Länder zu vereinen.

Innenminister Jörg Schönbohm gehört zu den wenigen, die tatsächlich einen Stimmungsumschwung erkannt haben wollen. Aber erklären kann auch er ihn nicht, denn seine Schlussfolgerung lautet: Jetzt müsse man überlegen, was getan werden könne, um die Zustimmung weiter wachsen zu lassen. Dann überlegt mal schön. Aber bitte nicht zu lange. Schließlich will sich Schönbohm ja schon im Jahr 2004 zum Ministerpräsidenten des gemeinsamen Landes Berlin-Brandenburg wählen lassen.

An der Politik kann es nicht liegen, dass die Brandenburger auf einmal mehrheitlich für ein gemeinsames Land mit Berlin sind. Weshalb aber sind sie es dann? Weil sie das alte DDR-Berlin jetzt vergessen haben. Weil sie selbst auch ein bisschen zum neuen Berlin gehören wollen. Und weil sie erkannt haben, dass es ein zentralistisches Berlin gar nicht braucht, um sie an den Rand zu drücken. Sie wissen jetzt: Sie haben keine Chance. Aber sie wollen sie nutzen.

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