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Endlich raus. Die ganze Stadt war am Sonntag unterwegs: Sinan Ali (rechts) grillte mit einem Kumpel und Familie, andere lagen einfach nur faul in der Sonne. Nur die mehreren hundert Leute, die am Badeschiff anstanden, hatten Pech: Sie durften zwar rein, aber noch nicht ins Wasser.

© Davids

Frühling in Berlin: Verzückte Stadt

Der Frühling hat die Hauptstadt erreicht, und die Berliner sind wie ausgewechselt: Sonne, Wärme, Luft! Also nichts wie raus – angrillen und genießen.

Da wird einem ja poetisch ums Herz. Welcher Wohlgeruch, welche Wonne: Endlich steigen sie wieder auf, die Duftschwaden, das erste Mal nach dem Unendlich-Winter. Auf der Grünfläche am Kreuzberger Waterlooufer, zu Füßen der Heilig-Kreuz-Kirche, darf wieder gegrillt werden. Sinan Ali, 24, legt Würstchen und Peperoni auf, während seine Frau Stanislava Videva, 27, dem Frieden noch nicht traut und die kleine Tochter Merilin mit Fleece warm eingepackt hat. „Mit der Familie endlich draußen, das ist ein Spaß“, sagt Ali. Unsereins möge doch unbedingt probieren! Lecker. Was „Danke“ auf Bulgarisch heißt? „Blagodarya“.

Danke, das mag einem an diesem Frühlingspremierentag ständig über die Lippen kommen. Danke für die 18 Grad, für den Anblick des in der Sonne knutschenden Pärchens vor der Emmaus-Kirche. Danke für die Radler in kurzen Hosen mit Wasserflasche, die den Großstadttrapperinnen mit Cowboystiefeln und zu kurzem Rock hinterhergucken. Selbst das am U-Bahnhof Görlitzer Bahnhof auf einer Bank ausladend gestikulierende südländische Pärchen passt so richtig ins Bild. Am Schlesischen Tor schenkt der Obstverkäufer vom Market einem Altberliner Paar eine Banane und schält sie auch noch mundgerecht ab. Die Sonne muss den Berlinern die Seele erleuchtet haben, die sind ja wie ausgewechselt.

Erster richtiger Frischlufttag

„Das ist definitiv der erste Tag in diesem Jahr, an dem ich draußen rumhänge“, sagt Stefan Buckow, gelernter Schreiner aus Bayern, der nun in Friedrichshain lebt. Mit seinen Freunden hat der 25-Jährige sich eine ausrangierte, etwas schräge blaue Couch von der Häuserwand auf die Wiese in die Sonne gezogen. „Nur so weit, dass die Besitzer, falls es noch welche gibt, sie noch sehen und zurückholen können“, sagt Stefan Buckow. Die Berliner denken plötzlich mit – auch das ist eine Erkenntnis des Frühlings 2013 mit Ladehemmung. Lena Dunkel und ihr Couchnachbar zu ebener Erde haben ausgerechnet, dass der Sommer 2013 wegen des verspäteten Frühlingsbeginns eigentlich bis zum Dezember reichen müsste. Wenn das nichts ist.

Erst mal reicht der Vorgeschmack auf jeden Fall bis Montag: Laut Helmut Malewski, Meteorologe vom Dienst beim Deutschen Wetterdienst in Berlin, wird es sonnig und bis zu 23 Grad warm. Da hat sich das Wetter ganz schön bergauf gekämpft, denn die wärmsten Tage der vergangenen Monate waren zuletzt: 25. Dezember, also erster Weihnachtsfeiertag: 12,6 Grad. 30. Januar: 12,3 Grad. Im dunkeldüsteren Februar war der erste Tag des Monats mit 7,5 Grad schon der wärmste. Dass das Thermometer die magische 20-Grad-Grenze überwand, das ist sage und schreibe ein halbes Jahr her, das war am 21. Oktober 2012. Die Berliner sollten die Temperaturen um die 20 Grad trotz Wolken und auch mal Regen genießen, rät Meteorologe Malewski, denn schon am kommenden Wochenende soll es nur noch 10 bis 12 Grad geben. Pflanzen könne man aber schon mal rausstellen, stundenlange knackige Frostgrade seien nicht mehr zu erwarten.

Ein bisschen Spanien in Berlin

Motorradfahrer geben Gas, erwachsene Männer singen auf ihren Mountainbikes laut „We all live in a yellow submarine“. Quads werden geparkt, Cabrios gelüftet und vornehmlich Sonnenbrillen aufgesetzt, die entweder farbig spiegeln oder weiß eingefasst sind. Auf den Holzplanken an den übergroßen Bänken auf der Grünfläche gegenüber dem Freiluftrestaurant Freischwimmer, in dem man keinen freien Platz mehr findet, fotografieren sich gerade Melania Guijarro, 33, und Belen de Marco, 26. Beide sind gebürtige Spanierinnen, seit Mitte November in der Stadt. Ja, sie lieben Berlin, und dennoch: Sie hätten gemerkt, wie wichtig das Meer und die Sonne seien, sagt Guijarro. Deswegen hat sie jetzt bei dem Wetter endlich vor Freude eine Tortilla fürs Picknick draußen zubereitet, die die eine in die Kamera hält und die andere fotografiert. Mal probieren? Klar. Blagodarya, äh, muchas gracias.

„Da erwarten alle immer so viel vom Leben, und andere strecken einfach das Gesicht in die Sonne und freuen sich daran“, sagt ein Vorbeikommender. Wie lang der Winter war, sieht man auch an den Scharen von Scheibenputzern, die wieder die Kreuzungen der Stadt wie am Kottbusser Tor bevölkern. Schlange stehen sie auch um die Ecke beim Badeschiff in Treptow, das bei der Wiedereröffnung mehr Glück hatte als das Strandbad Wannsee vor zwei Wochen, wo nur die ganz Harten bei drei Grad und Schnee ins Wasser sprangen. Doch im Badeschiff darf noch nicht geschwommen werden, bis in ein paar Tagen das Wasser freigegeben wird. Immerhin kann man sich beim Schlangestehen sonnen. „Ey Alter, da steht man ja ’ne Stunde“, sagt einer. Da sind sie wieder, die Muffelberliner.

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