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„Für eine Quarantäne denkbar ungeeignet“: Warum es in Berliner Flüchtlingsunterkünften kaum Coronafälle gibt

Sammelunterkünfte gelten als Infektionsherde, infizierte Flüchtlinge gibt es in Berlin trotzdem kaum. Zufall oder gute Vorsorge?

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Ganz am Anfang, als viele in Berlin Corona noch gar nicht buchstabieren konnten, trafen manche schon Vorsorge. Schleppten literweise Sonnenblumenöl und Einkaufstüten voller Mehl in die Unterkunft. Womöglich wussten viele Geflüchteten viel früher, was auf uns zukommen würde.

Tatsächlich ist die Bilanz nach zwei Monaten Corona vorzeigbar – trotz der Sammelunterbringung, die epidemiologisch als gefährlich gilt: Bei rund 20.000 Geflüchteten in den Berliner Einrichtungen gab es vor zwei Wochen 26 akut positiv Getestete, mittlerweile ist die Zahl der aktiven Fälle auf 19 gesunken. „Man weiß nie, was morgen ist, aber wir haben das Infektionsgeschehen wirklich unter Kontrolle“, heißt es im LAF.

Vom Hamstern allein bleibt man nicht gesund, wie also kommt es zu diesen Zahlen? Beim LAF verweist man auf die Disziplin der Geflüchteten, deren frühes und hohes Risikobewusstsein – aber auch auf die eigene Arbeit.

Ein ganzes Maßnahmenpaket mit aufgestocktem Personal soll dafür sorgen, dass die Zahlen so klein bleiben und nicht der Verdacht aufkommen kann, dass bei der Pandemie-Bekämpfung mit zweierlei Maß gemessen werde: Rückzug in die Wohnung, Händewaschen, Minimierung sozialer Kontakte für die Einheimischen, enge Mehrbettzimmern bei ungenügenden hygienischen Verhältnissen für die Geflüchteten.

Laut dem Landesamt für Flüchtlinge wurden die Hygieneregeln in den Unterkünften deutlich verschärft.
Laut dem Landesamt für Flüchtlinge wurden die Hygieneregeln in den Unterkünften deutlich verschärft.

© imago/Hans Scherhaufer

Deshalb gilt neben den üblichen Regelungen wie Hygienemaßnahmen und Abstandhalten: Gemeinschaftsräume und Speisesäle bleiben leer. Besuche von Ehrenamtlichen, Nachbarn oder Projektträgern gibt es nur noch virtuell, dafür besseres Internet.

Dann ist da die neue Taskforce, die rund um die Uhr für Unterkunftsbetreiber, Gesundheitsämter und andere öffentliche Stellen wie Polizei oder Kliniken erreichbar ist. Hustet beispielsweise jemand oder hat Fieber, rückt die Taskforce an, informiert das Gesundheitsamt, die Betroffenen werden getestet und bei Bedarf unter Quarantäne gestellt.

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Sie informiert Bewohner, die unter individueller häuslicher Quarantäne stehen, über die Auflagen, überwacht Symptomtagebücher und organisiert ein Catering direkt vor die Zimmertür. Es gibt spezielle Mülltonnen für Abfälle, und die Nutzung von Waschmaschinen-Räumen ist gesondert geregelt.

Nur ein Drittel der Apartments hat eigene Bäder

In einem Drittel der 83 LAF-Unterkünfte gibt es Apartments mit eigenen Bädern oder Tempohomes – hier ist so eine Separation kein großes Problem. Aber in älteren Gebäuden mit Gemeinschaftsküchen stellen die zuständigen Amtsärzte unter Umständen das ganze Haus in Quarantäne.

Weil es mittlerweile eine extra Quarantänestation in Pankow gibt, kommt das allerdings kaum mehr vor. Außer in der Aufnahmeeinrichtung Reinickendorf: Trotz der eigentlich geschlossenen Grenzen kommen jeden Tag 13 Neuankömmlinge an – und hier dann direkt in Quarantäne.

Schlangenliniensystem regelt Zusammenleben in der Unterkunft

Logistisch nicht ganz einfach, die 14 Tage Isolation sauber einzuhalten: Wer darf wann kochen, essen, waschen, duschen und auf welche Toilette? Welches Personal desinfiziert wo und was? Quasi ein ausgeklügeltes Schlangenliniensystem.

So eine Vollquarantäne sei für viele Geflüchtete „der Horror“, sagt dagegen Nora Brezger vom Flüchtlingsrat: Massenunterkünfte seien in Pandemiezeiten denkbar ungeeignet, und für viele bedeute die Beengung eine Retraumatisierung ihrer Fluchterfahrungen. Zumal sich einige von dem aufgestockten Security-Personal bewacht fühlten.

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Dazu käme die Angst vor einer Kettenquarantäne, die es auch immer wieder gibt: „Tritt an Tag 13 ein neuer Fall auf, geht das Spiel von vorne los. Und ob die Zahlen der Infizierten in den Unterkünften stimmen, kann man natürlich nur wissen, wenn man im großen Stil testen würde“, kritisiert sie.

Bewohner haben große Angst vor einer Infektion

Die Disziplin der Bewohner, die zum Teil nicht einmal mehr mit den Kindern auf den Hof gingen, sei wohl nur der großen Angst vor Corona geschuldet: „Viele gehören wegen ihrer Fluchtgeschichte zur Risikogruppe“, sagt Brezger.

Derzeit allerdings gibt es keine Pläne, die Gemeinschaftsunterkünfte aufzulösen und die Bewohner stattdessen in Hotels zu verlegen, zumal es dort schwieriger wäre, Betreuung und Anbindung an soziale Angebote sicherzustellen.

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Und gibt es doch wieder einen Corona-Fall in einer Gemeinschaftsunterkunft, schickt das Gesundheitsamt die Betroffenen neuerdings an den Nordrand von Pankow: Das ehemalige Tempohome in der Elisabeth-Aue ist zu einer Quarantänestation umfunktioniert worden.

Zusätzliches medizinisches Personal im Einsatz

Das LAF hat ein eigenes Betreiber- , Hygiene- und Sicherheitskonzept erstellt, zusätzlich zum regulären Personal sind dort jetzt Pflegekräfte und medizinisches Personal im Einsatz. Unter anderen ein syrischer Arzt und eine afghanische Krankenschwester. „Sonst hätten sie wohl nie so schnell eine Arbeitserlaubnis bekommen“, sagt Friedrich Kiesinger vom Betreiber Albatros.

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„Auenland“ nennen die Betreiber die Einrichtung gern, mit Verweis auf die Heimat der Hobbits in „Herr der Ringe“. Mit Gemütlichkeit haben die Container aber nicht viel zu tun, ziemlich weiß und steril stehen sie in der Landschaft und dürften in den Sommermonaten drückend heiß werden.

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Menschenunwürdige Blechbüchsen, für eine Quarantäne denkbar ungeeignet“, nennen manche Anwohner die Unterbringung. Zwar sind zurzeit bei einer Kapazität von 300 Personen nur akute Covid-19-Fälle und ihre Kontaktpersonen dort untergebracht.

Trotzdem protestiert die AfD vor Ort. Auf Facebook startete die Partei eine Kampagne gegen die Quarantäne-Unterkunft und warnte vor einem „Coronahotspot“ in Französisch-Buchholz. In einem Youtube-Video erklärt der stellvertretende AfD-Fraktionsvorsitzende im Abgeordnetenhaus Ronald Gläser, dass das Containerdorf zum „Umschlagplatz für das Virus“ zu werden droht, die Bürger liefen Sturm, meint er.

Finden lässt sich lediglich die Klage eines Anwohners. Er zog vor Gericht, weil er unter anderem wegen der Ansammlung vieler Infizierter die Ausbreitung sogenannter „Coronawolken“ fürchtete. Das Gericht wies die Klage ab: Für diese Befürchtungen gebe es keine wissenschaftlichen Erkenntnisse.

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