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Berlin: Ganz in Weiß

Die Stadt hatte sich auf ein Schnee-Chaos eingerichtet. Doch am Ende lief alles glatt – zu glatt manchmal

Berlins Feuerwehrleuten kam es vor wie ein geschenkter Feiertag. Mit Grausen hatten sie am Vorabend die Unwetterwarnung gehört – und dann die anhaltende Ruhe am Donnerstag richtig genossen. „Die meisten waren entweder vorsichtig oder sind zu Hause geblieben“, hieß es in der Leitstelle der Feuerwehr . Von den gut 200 Glätteunfällen hielt die Polizei nur einen für besonders erwähnenswert: Ein 35-jähriger Autofahrer hatte in Hohenschönhausen auf rutschiger Fahrbahn sieben geparkte Wagen gerammt. Als die Polizei kam, schlief der Mann unangeschnallt bei laufendem Motor hinterm Lenkrad und ließ sich auch nicht mehr wecken. Also trugen die Beamten den Schlafenden zum Polizeiauto und chauffierten ihn zur Blutprobe. Und dann gab es noch die „Festnahme“ eines angeblich Schwerbewaffneten, der von Spaziergängern im verschneiten Grunewald gesichtet worden war. Suchtrupps fanden den Schützen – es war der Revierförster.

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Die Männer von der Stadtreinigung leisteten Sisyphusarbeit. „Kaum haben wir eine Straße fertig geräumt, ist sie schon wieder zur Hälfte verschneit“, stöhnte BSR-Sprecher Bernd Müller angesichts des unablässigen Flockenwirbels. Alle Mann seien im Einsatz gewesen. Das waren rund 2300 Reiniger mit 550 Räum- und Streufahrzeugen. Seit Mittwoch ackerten sie in Schichten rund um die Uhr und konzentrierten sich auf die Hauptstraßen, wo der meiste Verkehr und BVG-Busse rollen. Hier ging die BSR auch mit Tausalzen gegen Eisglätte vor. Die Nebenstraßen blieben außen vor.

Wie auf Eiern balancierten Fußgänger über manche Bürgersteige. Deren Reinigung obliegt den Hausbesitzern oder von ihnen beauftragten Schneeräumfirmen, doch bis in die City hinein kamen Eigentümer offenbar diesem Auftrag nicht nach.

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Auf den Straßen entdeckten die Autofahrer , die Radfahrer und die Fußgänger wieder die Langsamkeit. Autos waren so zum Teil nur mit Schrittgeschwindigkeit unterwegs; Fußgänger balancierten auf den rutschigen Gehwegen wie auf Eiern. Falschparkern kam das Schneetreiben gerade recht, denn die Schneedecke auf dem Auto schützt vor kritischen Politessenblicken. Die Knöllchenpolizei fegt den Schnee auf der Frontscheibe nicht weg, um nach gültigen Parkscheinen zu gucken – aus Angst vor Kratzern im Lack und deshalb klagenden Autofahrern. Die BVG hatte am Morgen noch frohlockt, dass der Schnee ihr nicht viel anhaben könne, doch am Nachmittag musste sie dann den Verkehr auf der Havelchaussee einstellen. Auch an anderen Steigungen in der Stadt kapitulierten die Busse und mussten vor der Endstelle umkehren. Fahrgäste warteten bis zu einer halben Stunde auf ihre Linie. Im Fern- und Regionalverkehr sowie bei der S-Bahn gab es mehrere Weichenstörungen. Im Regionalverkehr ließ die Bahn die Züge zum Teil vorzeitig die Fahrt abbrechen. Demnach gab es durchschnittliche Verspätungen von 10 bis 15 Minuten.

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Auch der Jubiläums-Fluggast musste warten. Melanie Schölzel wurde allerdings gestern Mittag in Tegel mit Geschenken über die 75-minütige Verspätung hinweggetröstet. Sie ist in diesem Jahr der 17millionste Passagier an den Berliner Flughäfen . „Wir sind pausenlos dabei, die Landebahnen zu räumen“, hieß es. Die ersten Verzögerungen von 20 bis 30 Minuten ergaben sich in Tegel morgens durch verspätete Ankünfte oder die Enteisung der Flugzeuge. Mittags waren die Flüge dann teils mehr als eine Stunde hinter dem Plan. Die Maschinen nach Prag und Stockholm hatten zwei Stunden Verspätung, einige Flüge wurden sogar gestrichen. Ähnlich sah es in Schönefeld aus.

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Recht ungemütlich ging es auf dem Berliner Autobahnring zu. An allen Engstellen kam es zu Staus und Unfällen. Da genügte schon ein Tempo-80-Schild vor einer Baustelle, um ein kleines Chaos auszulösen. Pkws wurden von den Lastwagen, die nicht rechtzeitig bremsen konnten, sogar oft auf die Standspur oder in den Graben gedrängt. Die Polizei hatte dafür nur eine Erklärung: „Sommerreifen“. Zeitweilige Vollsperrungen des Rings bei Ludwigsfelde und Rüdersdorf waren Folgen dieses Leichtsinns.

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Wer nicht arbeiten musste, konnte sich den Winterfreuden zuwenden. Im Wintersportfachgeschäft „Boarderline“ in Kreuzberg standen die Leute Schlange. „Viele Berliner haben sich eine Langlauf ausrüstung geliehen, weil sie nach Brandenburg in den Schnee wollen“, sagte Mitarbeiter Holger Wagenfeld – 10 bis 20 Euro kostet das am Tag. Beim Skiverband Berlin mehrten sich gestern die Anfragen nach Skilanglaufkursen. „Wir prüfen, was wir anbieten können“, sagte Matthias Mikolaiski vom Berliner Skiverband. Infos: www.skiverband-berlin.de.

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Ski und Rodel gut , sehr gut sogar. So müsste der Wintersportler-Spruch für Berlin derzeit lauten. In den Sportgeschäften kauften die Leute wie wild: Handschuhe, Mützen, Stirnbänder… Auch Langlaufausrüstungen waren sehr gefragt, Holzschlitten waren in der Sportarena am Alexanderplatz sogar ausverkauft – aber die bunten Plastikschalen tun es ja auch.

Hans-Joachim Knußmann, der Meteorologe vom Wetterdienst MeteoXpress, sprach gestern begeistert vom Sonnenschein, während draußen im Schneetreiben die Welt immer düsterer wurde. „Noch ein bisschen durchhalten“, ermutigte er, „ab Freitagmittag verziehen sich die Wolken.“ Dann soll es heiter werden, blauer Himmel, knackige Kälte. Einen herrlichen Wintertag versprach Knußmann. An Silvester soll sich der Himmel dann erneut verhüllen, Tiefausläufer bringen Temperaturen bis zu 2 Grad plus und Glatteisgefahren. Berlins Feuerwehrleute glauben’s diesmal erst, wenn sie es selber sehen. CS/-du/Ha/kög/kt/Ste.

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