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Berlin: Gedankenloses Gedenken

Die Mahnmale der Stadt nutzen sich ab: Die Besucher machen Fehler, die Witterung ist gnadenlos. Manches wäre wohl ein Fall für die Gedenkstättenpolizei – wenn es sie denn gäbe.

Blubb. Wieder taucht eine Münze ins schwarze Wasserbassin. Mit unzähligen anderen zusammen soll sie Glück bringen. Aber dies ist dafür der denkbar falsche Ort. Ein kleiner Junge schaut kurz auf die Wellenringe, dann rennt er hinaus in den Tiergarten. Einfach zu verlockend, dieses stille, jederzeit eisfreie Becken mit der einsamen Blume in der Mitte.

Am Mahnmal für die ermordeten Sinti und Roma ist immer Betrieb. Es kommen mehr Touristen als erwartet. Auf dem Weg vom Brandenburger Tor zum Reichstag schauen sie kurz herein, umrunden das Becken, lesen zwei, drei Worte der Inschrift. Kurz vor 13 Uhr senkt sich die dreieckige Plattform und fährt mit einer neuen Blume zurück ans Tageslicht. Jetzt ist sie wieder königsblau. Eine Servicefirma kümmert sich darum, aber man möchte nicht, dass jemand dabei zuschaut. Zu viel Wissen um die profanen Abläufe im Untergrund des Mahnmals könnte den weihevollen Ort entzaubern. Es ist so schon schwer genug, die Würde zu wahren.

Denkmäler für die Opfer der NS-Herrschaft, Mahnmale gegen Krieg und Terror – Erinnerungsorte an die Teilung gibt es zuhauf in Berlin, doch sie nutzen sich mit den Jahren ab. Das Wetter setzt ihnen zu, und die Besucher tun oft anderes, als nur still zu memorieren. Am Holocaust- Mahnmal ist das Problem seit langem bekannt. Zwei Wachschützer passen auf, damit das Stelenfeld nicht zum Abenteuerspielplatz wird. Und es gibt eine Besucherordnung: Radfahren, Springen und Lärmen sind verboten. Versteckspielen, Küssen, Rastmachen und sogar das Hinaufklettern auf höhere Stelen sind zwar nicht erwünscht, aber erlaubt.

Auch der Spezialbeton verhält sich anders als erwartet. Er reißt. Jede dritte Stele ist betroffen. Einige sind mit Manschetten gesichert, damit sie nicht auseinanderbrechen. Nach der Ursache für die Risse werde noch gesucht, sagt eine Sprecherin der Mahnmalstiftung. An manchen Stelen tritt seitlich Wasser aus, das nachts zu langen Kappen gefriert, die tagsüber abfallen. Ein Schauspiel der Natur. Nichts ist für die Ewigkeit.

Am Mahnmal für die Sinti und Roma soll es auch bald eine Besucherordnung geben. Ob der Münzeinwurf auf der Verbotsliste stehen wird, ist noch offen. Klar ist, dass die korrodierenden Centstücke den dunklen Beckenboden verfärben. Es gibt Leute, die ins Wasser steigen und sie wieder herausfischen. Viele Bettler mischen sich unters Publikum, sie wittern hier ein gutes Geschäft. Nicht zuletzt dient das Gedenkbecken auch als Vogeltränke.

Die meisten Besucher verhalten sich gedenkstättenkonform. Einige werfen Blumen ins Wasser. Eine Familie aus Italien ist überrascht von der Intimität, der Schönheit und der ruhigen Ausstrahlung des Ortes. Jaroslav Suchy aus Prag filmt die Szenerie mit seinem pinken Handy und erzählt dabei laut, was man dazu wissen sollte. Er sei Zigeuner aus Prag, sagt er, die Einweihung des Mahnmals habe er im Fernsehen gesehen, deshalb musste er unbedingt hierherkommen.

Die dritte NS-Opfergedenkstätte im Tiergarten liegt etwas abseits der Touristenpfade. Der Monolith für die verfolgten Homosexuellen hat den Winter gut überstanden. Im verglasten Guckkasten läuft ein Film in Endlosschleife. Küssende Männer, küssende Frauen. Es gab Ärger, weil Lesben in der NS-Zeit nicht verfolgt wurden. Sei’s drum. Falscher Gebrauch durch die Besucher ist nicht erkennbar. Sehr wartungsarm, lobt die Holocaust-Stiftung, die sich auch hier kümmert.

Ein junger Mann im Retro-Stil – Fischgrätmustermantel, Arbeitermütze, zugeknöpfter Hemdkragen – lobt das Mahnmal nach eingehender Prüfung. „Ich habe zwar keine starken homosexuellen Neigungen“, aber das diskriminierende Wegsehen bei küssenden Lesben und Schwulen gebe es auch heute noch. Hier wird man aufgefordert hinzusehen. Fast alle, die vorbeikommen, tun das auch.

Nicht weit entfernt steht das sowjetische Ehrenmal mit den Geschützen und Panzern an den Flanken. Zu Mauerzeiten wurde das Ehrenmal mit Gräberfeld bewacht, jetzt steht nur noch ein Schild vom Grünflächenamt: Rasen betreten, Fußballspielen, Inlinern und Radfahren verboten. Eine Schülergruppe aus Hamburg macht Spaßfotos mit der heroischen Soldatenfigur im Hintergrund. Ein Mann im bunten Anorak hat sich für die Kamera lächelnd ans Geschütz gelehnt. Den Arm in die Hüfte gestemmt, skandiert er: „Kanoniere bereit!“ Zwei kleine Zwillinge klettern auf die Kriegsgeräte, drehen an Kurbeln. Auf dem Sims des Ehrenmalsockels liegen frische Blumen, eine Grabplatte ist mit russischen Münzen belegt.

Das Brandenburger Tor, Symbol der Teilung, liegt unter fotografischem Dauerbeschuss. Darth Vader mit Uschi und Tor, klick, Berliner Bär mit Monique und Tor, klick, Soldat mit US-Fahne und Klein-Ronald und Tor, klick. Die Darsteller arbeiten hintereinander auf drei Perspektivebenen zum Tor. Das ergibt optimale Motivausbeute. Warum fordert Berlin eigentlich kein Copyright für sein berühmtes Tor? Das Bauwerk selbst immerhin bleibt von Zudringlichkeiten verschont.

Das Denkmal zur Erinnerung an die Bücherverbrennung auf dem Bebelplatz ist derzeit komplett außer Betrieb. Die Glasscheibe ist von Straßendreck verschmiert und angelaufen. Keine Sicht mehr ins Mahnmal darunter. Trotzdem hat sich ein Volksprediger aufgestellt und missioniert in Sachen Marx, Engels und sonstige gestürzte Heilige des Sozialismus.

Das schwerste Missbrauchsschicksal unter den Mahnmalen der Innenstadt haben die Mauersegmente am Potsdamer Platz erlitten. Einige wurden mit mehreren Schichten Kaugummi beklebt, zwischendrin Bierdeckel. An den Stahlverankerungen hängen Treueschlösser. Ein Fall für die Gedenkstättenpolizei, wenn es sie denn gäbe.

Übrigens: Der Geigenton am Mahnmal der Sinti und Roma ist abgestellt, die CD hakte. Jetzt wird auf Festplatte umgestellt.

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