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Berlin: Geschichten aus dem Grunewald

Bismarck machte den Grunewald zum Viertel der Reichen – weil er das Land 1880 an Banken verkaufte. Dort baute die Prominenz. Vier Autoren erzählen vom „Slum für Millionäre“ und aus deren Leben

Schon der erste Schuss war tödlich. Walther Rathenau starb sofort. Das Attentat auf den Reichsaußenminister der Weimarer Republik geschah mitten in der Villenkolonie Grunewald an einem Junivormittag im Jahr 1922. Rathenau wurde getötet, weil er jüdischer Abstammung war. Das Attentat hatte der antisemitische Geheimbund „Organisation Consul“ geplant. Kurz vor seinem Tod hatte der Politiker sein prunkvolles Haus an der Koenigsallee verlassen und fuhr im offenen Wagen Richtung Ministerium. Vorbei an den wunderschönen Palais seiner Nachbarn. Und vorbei an den idyllischen Seen, um die sich auch heute noch die Villen der guten Berliner Gesellschaft gruppieren.

Grunewald ist ein Ort der Schönheit und des Luxus, an dem gleichzeitig Entsetzliches geschah – wie das Attentat. Oder eine Facette des Holocaust: Insgesamt mussten mehr als 50 000 Menschen am Bahnhof Grunewald Züge zu den Vernichtungslagern im Osten besteigen. Heute erinnern mehrere Mahnmale am Bahnhof an die Deportation.

Vier Autoren haben die Geschichte des Ortsteils und seiner bekannten und berühmten Bewohner in einem Buch festgehalten: Mehr als 400 Adressen haben sie für „Prominente in Berlin-Grunewald und ihre Geschichten“ gesammelt. Gerade zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren viele der Grunewald-Anwohner jüdischer Abstammung. Familien wie die Bankiersfamilie Mendelssohn prägten von Anfang an das gesellschaftliche Leben der Villenkolonie.

Wer etwas auf sich hielt in Berlin, hatte schon damals eine Adresse nicht „im“, sondern „in“ Grunewald. Millionäre zog es ebenso dorthin wie Künstler. Etwa die Schriftstellerin Else Lasker Schüler, den Politiker Theodor Heuss, den Verleger Samuel Fischer, die Schauspieler Harald Juhnke, Romy Schneider, Grete Weiser.

Begonnen hat alles mit Otto von Bismarck, auch wenn er nicht in einer Grunewald-Villa wohnte. Er machte um 1880 den Verkauf von mehr als 200 Hektar des staatlichen Forstes Grunewald an ein Bankenkonsortium zu seinem persönlichen Anliegen. So konnte dort die „Millionärskolonie“ gebaut werden. Vier künstliche Seen wurden ausgehoben, um ein Sumpfgebiet trockenzulegen, viele Bäume gefällt und in einer großen Holzauktion verkauft. „Wenn Nimmersatt/die Riesenstadt / Ins Herz der Forste bricht/ dann sieht man bald / den Grunewald /vor lauter Villen nicht“, spottete der Dichter Ludwig Fulda. Der Molière-Übersetzer war einer der meistgespielten Bühnenautoren der Weimarer Republik. Fulda blieb nicht der Einzige, der an dem Villenviertel etwas auszusetzen hatte: Einen „Slum für Millionäre“ nannte der britische Schriftsteller Christopher Isherwood Grunewald 1939 in seinem Roman „Goodbye To Berlin“, der Vorlage für das Musical Cabaret. Sein deutscher Kollege Alfred Kerr machte sich über den „Eitelkeitsmarkt“ in den Villen lustig. Aber er schwärmte auch von den kulturellen „Landhausnachmittagen“ in den Palais mit der geistigen Elite des frühen 20. Jahrhunderts. Für alle, die sich anschauen wollen, wie sie lebte, stellen die Autoren sieben Rundgänge vor. Der erste beginnt am Rathenauplatz und führt die Koenigsallee entlang, vorbei an Rathenaus Haus, der Nummer 65 und den Seen: Rathenaus letzter Weg.

Harry Balkow-Gölitzer, Rüdiger Reitmeier, Bettina Biedermann, Jörg Riedel:

„Prominente in Berlin-Grunewald und ihre Geschichten“, 312 Seiten, Bebra-Verlag, 19,90 Euro. Ab morgen im Handel.

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