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Berlin: Geschichten für die Geschichte

Ehemalige Mitglieder des Abgeordnetenhauses feiern

Wie dezente Caféhausmusik für alte Damen und Herren klingt es durch den Plenarsaal des Abgeordnetenhauses. Ein Pianist und ein Geiger intonieren in Anspielung auf alte Zeiten im Rathaus Schöneberg Walter Kollo: „Es war in Schöneberg...“ Dem Festredner Alfred Grosser gefällt die Barcarole aus „Hoffmanns Erzählungen“ schon besser, denn wie er, der Publizist, war Jacques Offenbach Franzose deutscher Herkunft.

Weit mehr als tausend Jahre Erfahrung sind versammelt, wie Parlamentspräsident Momper warmherzig scherzt, um den 20. Geburtstag des Vereins ehemaliger Mitglieder des Abgeordnetenhauses zu feiern. Nur die Vorsitzende Hanna-Renate Laurien fehlt. Die Senatorin und Parlamentspräsidentin a. D. kuriert einen Beinbruch aus. Von den Genesungswünschen müssen „Hanna-Granata“, der „lieben Frau Laurien“, die Ohren klingen.

Alle haben sie Nachkriegsgeschichte mitgestaltet und sind „selbst Geschichte geworden“ (Momper). Manche sind politisches Urgestein, andere erst im Einheitsjahr 1990 als Ost-Berliner zur Politik gestoßen. Einige haben ihre Parteien verlassen wie Jürgen Kunze die FDP oder Walter Sickert und Helmut Fechner (Ost) die SPD. Einige stürzten über irgendeine Affäre wie die Senatoren Kurt Neubauer (SPD), Wolfgang Lüder und Horst Vetter (beide FDP). Neubauer saß zuvor seit 1952 im Bundestag, obwohl er bis 1961 in Ostberlin (Friedrichshain) wohnte. Der spätere Fraktionschef und Lotto-Direktor Franz Ehrke (SPD) saß seit 1954 im Abgeordnetenhaus, wohnte aber bis 1958 im Osten (Lichtenberg). Wer weiß das noch? Wer kennt noch alte Kämpen, die einst unter den Nazis zu leiden hatten wie der Haushaltsexperte Werner Goldberg (CDU)? Außer Neubauer und Vetter sind etliche Ex-Senatoren gekommen, so Lore Maria Peschel-Gutzeit und Dieter Sauberzweig (SPD), Edmund Wronski und Georg Wittwer (CDU), Walter Rasch und Wolfgang Lüder (FDP). Eberhard Diepgen und Klaus Landowsky, die die Politik prägten, bis sie über die Bankenaffäre stürzten, sind nicht da. Überhaupt machen sich die jüngeren Alten rar. Von PDS und Grünen sieht man sowieso nichts.

250 Ehemalige pflegen den Gedankenaustausch. Selbst Willy Brandt war Mitglied. Sie würden ihr Wissen gern an die Aktiven weitergeben. „Bloß, entsprechende Nachfragen überlasten uns nicht gerade“, sagt Werner Salomon ironisch, der Vizevorsitzende und gewesene Bürgermeister von Spandau. So machen sie es sich beim Kasinoplausch gemütlich. Die alten Schlachten sind so lange her, dass die Erinnerung nur noch heiter stimmt.

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