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An der Unfallstelle an der Frankfurter Allee erinnert ein weißes Geisterfahrrad an Laëtitia Graffart.

© Magali Dhyvert

Update

Getötete Radfahrerin in der Frankfurter Allee: Lkw-Fahrer in Berlin freigesprochen

Im Mai 2021 wurde Laetitia Graffart in Berlin von einem Lkw-Fahrer überfahren. Nun musste dieser sich wegen fahrlässiger Tötung vor Gericht verantworten.

| Update:

Vor zweieinhalb Jahren überfuhr Frank W. mit seinem Lkw die 37-jährige Radfahrerin Laëtitia Graffart in der Frankfurter Allee in Berlin-Friedrichshain. Nun wurde der mittlerweile 58-jährige am Donnerstag vor Gericht vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung freigesprochen. Es tue ihm „leid, was geschehen ist“, sagte der Lkw-Fahrer unter Tränen in seinem Schlusswort.

Der Richter sah keinen hinreichenden Grund dafür, dass W. den Unfall hätte vermeiden können. Die Staatsanwältin und der Vertreter der Nebenklage hatten zuvor in ihren Plädoyers übereinstimmend eine Geldstrafe von 80 Tagessätzen à 15 Euro gefordert. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Der Fall sorgte damals für besonderes Aufsehen. Graffart war an jenem 27. Mai 2021 mit ihrem Fahrrad auf einem sogenannten Pop-Up-Radweg unterwegs. Dieser wurde auf Höhe des U-Bahnhofs Samariterstraße von einem illegal abgestellten Geldtransporter blockiert. Als die 37-Jährige dem Transporter auf die Fahrbahn ausweichen wollte, überfuhr Frank W. sie mit seinem Lkw.

Der Vorwurf der Anklage: W. habe seine Sorgfaltspflicht verletzt, weil er sowohl Graffart als auch den illegal geparkten Transporter auf dem Radweg vorab sehen konnte. Laut einem Sachverständigen hätte W. zwar wohl keine Zeit gehabt, eine Kollision mit Graffart zu verhindern.

Als Graffart mit Lkw und Geldtransporter kollidierte, stieß sie einen Schrei aus. Als W. den Schrei hörte, bremste er ab. Allerdings führte er keine Vollbremsung durch, „es war eher ein Anhalten“, sagte der Sachverständige vor Gericht. Laut ihm wäre Graffart bei einer Vollbremsung nicht vom Anhänger des Lkws überrollt worden – und hätte so den Unfall womöglich überlebt.

Richter sieht auch Mitschuld der Radfahrerin

Der Richter sah in diesem Schrei allerdings keine hinreichende Reaktionsaufforderung, die W. zu einer Vollbremsung veranlasst hätte. „Er hatte vorher keine Anhaltspunkte für eine Gefahrensituation“, sagte der Richter. Reagiert habe W. ja.

Zudem trage Graffart eine Mitschuld: Sie sei „grob verkehrswidrig in die Spur des Angeklagten eingefahren“, sagte der Richter. Wie auf der Aufnahme der Dashcam zu sehen ist, blickte Graffart sich nicht um und fuhr mit nahezu ungebremster Geschwindigkeit auf den Geldtransporter zu.

Fahrer des illegal geparkten Geldtransporters wurde nicht belangt

Dieser parkte hier ohne Ausnahmegenehmigung, was auch der Anwalt des Angeklagten als gravierendes Fehlverhalten bezeichnete. Zudem sei der Fahrer des Geldtransporters nicht einmal wegen eines Parkverstoßes belangt worden, weil der Vorfall verjährt sei.

Der Lkw-Fahrer W. leide bis heute unter den Folgen des Unfalls. Er sei traumatisiert, seitdem in psychiatrischer Behandlung und könne seinen Beruf nicht mehr ausüben, sagte der Verteidiger. Auch Zeugen beschrieben vor Gericht, dass sie seit dem Unfall in Therapie seien. „Ich kriege die Bilder einfach nicht aus meinem Kopf“, sagte ein Autofahrer, der direkt hinter dem Lkw gefahren war und die Straße abgesperrt hatte.

Weil sie an dem Tag Fahrrad gefahren ist, habe ich Laëtitia tot zurückbekommen.

Cécile Heritier, die Mutter des Unfallopfers, in einem Brief an das Gericht

Der Anwalt der Nebenklage verlas vor Gericht einen Brief von Graffarts Mutter. Sie sei selbst nicht anwesend, weil sie nicht ertrage, „die schrecklichen Details über den Tod meiner Tochter zu erfahren.“ Cécile Heritier schreibt weiter: „Weil sie an dem Tag Fahrrad gefahren ist, habe ich Laëtitia tot zurückbekommen“.

Er werde mit seiner Mandantin besprechen, ob er Berufung einlege, so Anwalt Stephan Maigné. „Das Gericht hat aus unserer Sicht nicht genügend gewürdigt, dass der Angeklagte Graffart vor dem Unfall gesehen hat“, sagte er dem Tagesspiegel. Auf der Aufnahme der Dashcam ist zu hören, wie W. nach dem Unfall sagt: „Sie war die ganze Zeit neben mir.“ Ähnliches sagte auch einer der Zeugen aus.

Laëtitia Graffart war in der deutsch-französischen Kulturszene gut vernetzt. Sie arbeitete unter anderem als Übersetzerin, gab ein Comic-Magazin heraus und sang in einer Riot-Grrrl-Band. Nach ihrem Tod forderten Angehörige sowie Radaktivist:innen mehr Schutz für Radfahrende auf Berlins Straßen. „Wir wollen ein bisschen Menschlichkeit von ihm – und Gerechtigkeit“, schrieb Graffarts Mutter dem Tagesspiegel. Anfang 2023 wurde ein neuer geschützter Radweg in der Frankfurter Allee eröffnet.

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