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Erhard Pietsch (1954-2018)

© privat

Nachruf auf Erhard Pietsch (Geb. 1954): Gott grüß’ die Kunst!

Solange man ehrlich war, solange man „Schnauze, du Arsch“ nicht persönlich nahm, war alles in Ordnung. Der Nachruf auf einen Drucker, einen Mann der direkten Ansprache.

Durch seine Druckerei poltern, das macht Erhard am liebsten. Wenn die schweren Maschinen immer schneller laufen, das Papier ansaugen und durch die Rollen jagen. Sich in Bruchteilen einer Sekunde eine Farbschicht nach der anderen auf das Blatt legt. Wenn es zischt, stampft, klackert. Wenn die Kollegen wie Ameisen hin und her eilen. Wenn sie am Ende der Schicht wieder etwas fertig haben, ein Buch, eine Broschüre, ein Plakat, eine Zeitung. Etwas, das man einpacken und wegschicken kann. Dann weiß Erhard, dass das, was er macht, das Richtige ist.

Einmal Drucker, immer Drucker. So war es und das würde sich für Erhard nicht ändern. Auch nicht, als er Inhaber und Geschäftsführer seines eigenen Ladens wurde. Auch nicht, als er es neben den Maschinen, den Kollegen, den Kunden, auf einmal mit Bankern, Vertretern und Versicherungsleuten zu tun hatte. Typen, die er hasste. Das sagte er auch allen. Einmal putzte er einen eine geschlagene Stunde lang runter. Am Ende stand der auf, bedankte sich und ging. „Wofür hat der jetzt so artig Danke gesagt?“, fragte Erhard verdutzt und freute sich den Rest der Woche.

Überhaupt teilte Erhard gerne aus. Fluchte und schimpfte, wenn etwas schiefgegangen war. Ließ sich aber auch anfauchen, wenn er selber Mist gemacht hatte. Solange man ehrlich war, solange man „Schnauze, du Arsch“ nicht persönlich nahm und seinen Sarkasmus an sich abprallen ließ, war alles in Ordnung. Der Ton der Drucker ist nix für sensible Ohren. Und wenn er bei einem stehen blieb und fragte, ob man mal fünf Minuten hätte, dann saß man in der Falle. Dann konnte Erhard zu einem seiner Monologe anheben, in denen er von seiner Druckerei über die Politik zur Wirtschaft, von Tempelhof in die Welt kam und nach 45 Minuten noch nicht fertig war.

Ein richtiger Pelz für eine richtige Braut

Seine Welt begann am Hermannplatz in Neukölln. Hier ist er aufgewachsen. Sein Vater war Tischler. Sein älterer Bruder wurde Drucker. Als Erhard dessen üppigen Gehaltsscheck zu sehen bekam, war ihm sofort klar, dass er das auch machen musste. Schule fertig, Lehre fertig, von seinem ersten richtigen Lohn kaufte er seiner ersten richtigen Braut einen richtigen Pelzmantel. Die freute sich. Doch Erhard bekam erst von dem Pelz eine Allergie und von der Braut dann auch bald eine.

Ein Poltergeist war er, ja, aber ein gutmütiger. Ein Drucker stand an der Maschine. Hatte Tränen in den Augen. Erhard sah es, ging zu ihm, „Was’n los, was heulste hier rum?“ – „Meine Tochter ist im Krankenhaus mit einer Gürtelrose.“ – „Und was machst du dann noch hier?“ Erhard ließ die Maschinen anhalten, holte die Kollegen zusammen und sagte: „Dieser Mann braucht Hilfe. Wer übernimmt seine Maschine?“ Erst meldete sich keiner. Als Erhard streng schaute, wechselten sie sich ab, und der Mann konnte los. Oder wenn einer allein an der Falzmaschine stand, dann ging Erhard von ganz oben, von seinem Chefbüro, runter in den Druckersaal bis ganz nach hinten in die Verarbeitung, stellte sich dazu, falzte mit, so lange, bis es fertig war. Das schaffte Loyalität.

Alleinerziehend, wie er war

Ein befreundeter Schuldirektor bat Erhard um Hilfe. Er hatte einen schwierigen Schüler. Einer mit Köpfchen. Vielleicht würde es helfen, wenn er mal richtig rangenommen würde. Erhard gab ihm einen Praktikumsplatz, schleifte ihn dann durch die Ausbildung und hielt an ihm fest, auch als der Kerl wieder und wieder zu spät kam, krankfeierte, Mist baute. In einem späteren Brief bedankte sich der Lehrling für die Chance.

Früher gehörte die Druckerei zum Reichelt- Konzern. Sie druckte alles, vom Briefpapier bis zur Werbung. Im Grunde war Erhard nur leitender Angestellter, doch in dem Laden gab es kaum etwas, worum er sich nicht kümmerte. Einkauf, Ablage, Dienstpläne, Technik, und ständig war er auf der Suche nach den neuesten Maschinen. Fing früh an, arbeitete bis um sechs, machte seinen Töchtern was zu essen, brachte sie ins Bett, fuhr wieder in die Druckerei und arbeitete, bis wirklich alles fertig war. Die Töchter? Für die schuftete er. Alleinerziehend, wie er war. Nach Dutzenden Gerichtsverhandlungen hatte er das Sorgerecht bekommen. Da waren die Töchter vier und sechs. Heute sind sie über 30. Sie beschenkten ihn zum Vatertag und zum Muttertag.

Alles lief. Die Töchter waren bestens ausgebildet. Die Firma hatte er mit seinem Stellvertreter übernommen, investierte, beschäftigte 50 Mitarbeiter. Die Maschinen druckten und druckten, manchmal die ganze Nacht durch.

Und dann bekam er diesen Husten. „Das ist nichts“, sagte er. „Mir geht’s schon wieder besser.“ „Geh nach Hause, geh zum Arzt, kurier dich und steck hier die Leute nicht an“, sagten die anderen. Doch da war Erhard dickköpfig. Plötzlich musste er ins Krankenhaus, plötzlich versagten die Organe, sein Herz machte nicht mehr mit.

Nach seiner Beerdigung kamen alle noch einmal in die Druckerei, in die große Halle. Dorthin, wo es ihm am meisten Spaß gemacht hatte. Dort, wo er alle immer mit dem Buchdrucker-Spruch begrüßt hatte: „Gott grüß’ die Kunst.“

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