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Berlin: Große Politik, kleine Sorgen

Linkspartei-Star Gysi kehrt zur Basis zurück. Lokalpolitik überlässt er anderen

Gregor Gysi will zurück zu den Wurzeln, „und zwar mindestens einen Nachmittag pro Monat“, sagt er. Mittwochnachmittag war Premiere: Der Fraktionschef der Linkspartei/PDS im Bundestag eröffnete sein Wahlkreisbüro in Treptow-Köpenick. Gysi gewann das Direktmandat im Südosten, obwohl er vorab sagte, er sei kein Kommunalpolitiker. Das wiederholt er jetzt in dem kahlen Raum mit lachsfarbenen Wänden, dessen Eingang sich zwischen der „Erste-Hilfe-Akademie“ und dem geschlossenen „Onur Bistro Feinkost“ befindet. Davor die Brückenstraße, die wohl trostloseste Straße im heruntergekommenen Niederschöneweide.

Gysi, Jahrgang 1948, ist in dieser Gegend aufgewachsen; Jahrzehnte bevor die Industriebetriebe schlossen, viele Durchschnittsbürger wegzogen und die NPD sich über der Fünf-Prozent-Hürde etablierte. Jetzt ist er zurück – im silbrigen Audi A8, der vor dem Fenster parkt wie Raumschiff Enterprise. Anders als früher sind die Neonazis von der Kneipe schräg gegenüber nicht zum Pöbeln gekommen, während Gysi seine Gäste begrüßt. Die meisten sind Rentner von der Basis, die einfach Zuspruch wollen oder ein Autogramm und einen Platz am Kaffeetisch. Die Bürgersprechstunde „war für mich schon immer etwas Besonderes“, sagt Gysi in seiner kurzen, überraschend atem- und pointenlosen Rede.

Über sein Büro wolle er den Kontakt zur Basis halten, ohne sich ins lokalpolitische Tagesgeschäft einzumischen. Dafür hat er André Schubert, der das Büro und auch den Haushaltsausschuss der Bezirksverordnetenversammlung leitet. Während man mit dem früheren Direktkandidaten Siegfried Scheffler von der SPD auch mal über einen Zebrastreifen reden konnte, sortiert Schubert die Themen vor, über die die Bürger mit Gysi sprechen wollen. Den Ersten drücken die Gebühren für Wassersportvereine. Damit ist er bei Gysi richtig: Die Seen sind Bundeswasserstraßen, also große Politik. Ein anderer gibt Gysi ein Papier zur Altersversorgung der Reichsbahner, die 1993 einfach gestrichen worden sei. Gysi nickt.

Der Zank mit der Berliner WASG wurmt ihn nicht: „Berlin ist nicht unwichtig, aber Deutschland ist mehr.“ Deutschland sei beispielsweise der Bundespräsident, der die alte PDS-Forderung nach Mindestlöhnen ins Gespräch gebracht habe. Oder der Wirtschaftsminister von der CSU, der mehr Geld für die kleinen Leute anmahne. Oder das Gutachten, das Hartz IV für gescheitert erklärt – wie von der Linken prophezeit. Das sind Gysis Themen. Am Nachbartisch schenken die Rentner Kaffee nach. Die nächste Sprechstunde ist am 22. Februar.

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