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Ein Plakat in Berlin warnt vor rechter Gewalt.

© Rainer Jensen/dpa

Todesopfer rechter Gewalt in Niedersachsen: Grüne fordern Prüfung angeblich unpolitischer Taten

Sieben Menschen starben in Niedersachsen mutmaßlich durch rechte Hasskriminalität. Der Landtag in Hannover berät über eine Klärung der Hintergründe.

Von Frank Jansen

Die Grünen in Niedersachsen dringen auf eine Überprüfung mutmaßlich rechter Tötungsverbrechen, die von der Polizei als unpolitisch eingestuft werden. Die Fraktion brachte am Donnerstag im Landtag einen Antrag ein, in dem die Regierung aufgefordert wird, eine wissenschaftliche Untersuchung in Auftrag zu geben. In dem Papier nennen die Grünen sechs Männer und eine Frau, die offenkundig Opfer rechter Hasskriminalität wurden.

Die Namen stehen in einer Liste des Tagesspiegel

Die Namen stehen in der Liste, die der Tagesspiegel in seiner Langzeitrecherche zu Todesopfern rechter Gewalt seit der Wiedervereinigung aufführt. Bislang sind in Niedersachsen nur zwei Tötungsverbrechen seit 1990 als rechte Kriminalität offiziell bestätigt. Der Tagesspiegel kommt auf bundesweit mehr als 170 Tote, die Polizei hat 100 gemeldet.

Treibende Kraft bei dem Vorstoß in Niedersachsen ist die Grünen-Landtagsabgeordnete Julia Hamburg. Angehörige von Ermordeten hätten sie angesprochen, sagte Hamburg. Die Hinterbliebenen verstünden nicht, dass der tödliche Angriff auf ihren Angehörigen trotz Indizien für eine rechte Tat nicht so gewertet wird. Die Grünen fordern zudem von der Landesregierung, sich auf Bundesebene für eine Reform der Erfassung politisch motivierter Kriminalität einzusetzen. Im Antrag der Grünen geht es um folgende Fälle, die bis heute bei der Polizei als unpolitisch gelten:

Zwei Skinheads stechen in der Silvesternacht 1990 in Rosdorf auf den Bundeswehrsoldaten Alexander Selchow ein. Das 21-jährige Opfer stirbt an den Folgen der Stiche.

Beide Skinheads sind Mitglieder der rechtsextremen Gruppierung „Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei“. Das Landgericht Göttingen verurteilt einen Täter zu sechs Jahren Jugendstrafe wegen gefährlicher Körperverletzung mit Todesfolge. Der Kumpan kommt mit vier Wochen Arrest davon. Die Bundesregierung hatte diesen Fall 1993 als rechts motiviertes Tötungsverbrechen genannt, später jedoch nicht mehr.

In Gifhorn attackieren Skinheads am 8. Mai 1991 den 23-jährigen Matthias Knabe. Die Rechten treiben den Punk auf eine Bundesstraße, dort wird er von einem Auto angefahren. Knabe erleidet schwere Hirnverletzungen, an denen er am 4. März 1991 stirbt. Das Landgericht Hildesheim verurteilt im November 1992 einen der Skinheads zu zwei Jahren Haft wegen fahrlässiger Tötung. Die Richter gehen davon aus, Knabe sei vor das Auto gelaufen. Augenzeugen berichten, Skinheads hätten Knabe auf die Straße gestoßen.

Am 4. Juni 1991 ersticht ein Skinhead in Kästorf den 39-jährigen Helmut Leja. Der 17 Jahre alte Angreifer bezeichnet Leja als „Abschaum“. Das Landgericht Hildesheim verurteilt den Täter zu sechs Jahren Jugendstrafe wegen Totschlags. Einen rechten Hintergrund sieht die Kammer nicht.

Nahe Uelzen wird am 12. März 1993 der Skinhead Hans-Peter Zarse (18) von seinem ebenfalls rechten Kumpan, einem gebürtigen Salvadorianer, erstochen. Bei einer gemeinsamen Fahrt war das Moped liegen geblieben, es gab Streit. Das Landgericht Lüneburg verurteilt den Messerstecher, Anführer einer rechtsextremen Skinhead-Gruppierung, zu einer Jugendstrafe von fünf Jahren. Die Richter bescheinigen dem Täter, er habe sich bei dem Streit „in seinem Dominanzstreben und seiner Ehre beeinträchtigt“ gefühlt.

Der 19 Jahre alte, aus Gambia stammende Bakary Singateh wird am 7. Dezember 1993 im Zug von Hamburg nach Buchholz erstochen. Täter ist der 54-jährige Wilfried S. Er geriet im Zug mit dem angetrunkenen Singateh in einen Streit. Das Landgericht Stade verurteilt S. wegen Totschlags in einem minderschweren Fall zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren. Die Richter schließen Hass auf Ausländer als Motiv aus - obwohl Kollegen von S. sagten, er habe Afrikaner als „Teerpappe“ und „Bimbos“ bezeichnet. Das Messer habe sich S. zugelegt, um sich „vor derartigen Leuten zu verteidigen“.

Gerhard Fischhöder (49) wird in der Nacht zum 10. Juli 2003 in einer Obdachlosenunterkunft in Scharnebeck zu Tode getreten. Der Angreifer hatte zunächst mit Fischhöder getrunken. Es kommt zum Streit, Fischhöder bezeichnet den Mann als „arbeitsscheu“. Der Täter tritt dann zu, bei Fischhöder brechen 18 Rippen. Anwohner berichten, der Mann gehöre zu einer rechtsextremen Gruppe, die mit Hitlergruß und Angriffen auf Obdachlose aufgefallen sei. Das Landgericht Lüneburg verurteilt den Täter wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu vier Jahren Haft.

Die 44-jährige Andrea B. wird am 27. Oktober 2012 in Hannover von dem Nazi-Rapper Alexander K. erstochen. Andrea B. hatte sich über die rechtsextreme Gesinnung von K. lustig gemacht. Er zerstückelt ihre Leiche und wirft sie in den Maschsee. Alexander K. hatte in einem seiner Songs den rechtsextremen norwegischen Massenmörder Anders Breivik als „Star für Oslo“ gefeiert.

Die Staatsanwaltschaft bescheinigt K. eine „Affinität zu rechtem Gedankengut und Gewaltfantasien“. Das Landgericht Hannover verurteilt den Täter zu zwölf Jahren Haft. Die Richter bescheinigen K., er sei wegen einer Persönlichkeitsstörung und der Abhängigkeit von Drogen und Alkohol nur vermindert schuldfähig.

Dass sich die Getötete über die rechtsextreme Gesinnung von K. lustig machte, sei kein Anlass für die Tat, sondern habe nur den Weg für die Durchsetzung des seit Jahren beim Täter bestehenden Tötungswunsches geebnet, sagt die Kammer.

Niedersachsen wäre das vierte Land mit wissenschaftlicher Untersuchung

Sollte der Landtag in Hannover die Regierung mit einer wissenschaftlichen Untersuchung beauftragen, wäre Niedersachsen das vierte Land, das diesen Weg geht. In Brandenburg meldete die Polizei 2015 auf der Basis eines Gutachtens des Moses-Mendelssohn-Zentrums der Universität Potsdam neun Tötungsdelikte nachträglich als rechts motiviert. Berlin folgte 2018 mit sieben zusätzlichen Todesopfern. Zuvor hatte das Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität die Fälle geprüft. Der Thüringer Landtag beschloss Ende 2018 eine Untersuchung, sie soll dieses Jahr starten.

Julia Hamburg ist vorsichtig optimistisch, dass Niedersachsen sich anschließt. Es gebe positive Signale aus SPD, CDU und FDP. In der Sitzung des Landtags sagte Donnerstagabend der SPD-Abgeordnete Deniz Kurku, Sprecher seiner Fraktion für Strategien gegen Rechtsextremismus, „in der Bundesrepublik wurde jahrelang bei der Erfassung der Zahl der Todesopfer rechter Gewalt nicht die Sorgfalt an den Tag gelegt, die geboten war“. Auch in Niedersachsen seien Menschen umgebracht worden und die Gründe seien „sicher nicht in allen Fällen richtig erfasst“ worden. Der Antrag der Grünen sei, „auch wenn er von der Opposition kommt, ein wertvoller Beitrag“, sagte Kurku. Mit dem Papier wird sich nun der Innenausschuss des Landtags befassen.

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