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Zwei Personen nutzen mit ihren Drahteseln den rot gekennzeichneten neuen Fahrradstreifen am Kottbusser Damm. Wie kann der Ausbau der gesicherten Wege schneller gehen?

© Annette Riedl/picture alliance/dpa

Update

Kreuzberger Radwege für ganz Berlin?: Grünen-Vorstoß zur Entmachtung der Bezirke stößt auf geteiltes Echo

Radfahren boomt, doch der Bau von Radwegen in Berlin verläuft schleppend. Die Grünen wollen ihn zentralisieren. Wird Friedrichshain-Kreuzberg zum Dienstleister?

Die Zahlen sind alarmierend: Auch im Jahr 2020 kam es auf Berlins Straßen zu 7908 Radunfällen. Die Zahl der Menschen, die sich täglich auf den Sattel schwingen, steigt in der Hauptstadt, doch die nötige Infrastruktur, breite Radwege und sichere Kreuzungen, wächst auch im fünften Jahr nach Amtsantritt der grünen Verkehrssenatorin Regine Günther nicht im selben Tempo mit.

Um bei wichtigen Verkehrsthemen, insbesondere beim Radwegeausbau schneller voranzukommen, fordert Grüne-Co-Fraktionsvorsitzende Antje Kapek nun, die Bezirke bei diesen Fragen zu entmachten. „Einer der Schlüssel ist die Verwaltung und die Frage, ob wir Kompetenzen auf der Landesebene zusammenziehen“, sagte Kapek im Interview mit dem Tagesspiegel - und stößt auf geteiltes Echo.

Die Zahlen beim Radwegeausbau sahen zuletzt bescheiden aus. Im ersten Halbjahr dieses Jahres sind bislang nur 9,36 Kilometer neue Radverkehrsanlagen errichtet worden, wie aus der Antwort der Senatsverkehrsverwaltung auf eine Anfrage des Abgeordneten Sven Kohlmeier (SPD) hervorgeht, die dem Tagesspiegel vorab vorliegt. 2020 wurden demnach insgesamt 48,15 Kilometer neue Radwege gebaut, wovon allerdings mit 25 Kilometern mehr als die Hälfte zunächst als Pop-up-Version entstanden.

Auffällig ist die Diskrepanz zwischen den Bezirken. Während Friedrichshain-Kreuzberg im 2020 inklusive Pop-up-Radwege rund 14 Kilometer Strecke errichtete, kommen andere Bezirke auf weniger als 2000 Meter. In Reinickendorf sind laut Senatsverkehrsverwaltung nur 520 Meter neue Radwege entstanden. Für Spandau und Tempelhof-Schöneberg ist nicht ein Meter angegeben.

Monika Herrmann: Wir könnten Radwegeausbau in Berlin übernehmen

Ideen, die Radwegeplanung an einer Stelle zu bündeln, existieren angesichts solcher Zahlen schon länger. Zuletzt hatte die Initiative Changing Cities eine Taskforce bei der Senatsverkehrsverwaltung gefordert. Immer wieder fällt bei diesen Überlegungen auch der Name des Leiters des Straßen- und Grünflächenamtes Friedrichshain-Kreuzberg. Er und sein Team, die gerade in Windeseile den Bezirk umbauen, könnten künftig für ganz Berlin die Radwegeplanung übernehmen.

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Fürsprecherin einer Bündelung der Radwegeplanung für die Hauptverkehrsstraßen ist die Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg Monika Herrmann. „Wenn wir die Verkehrswende umsetzen wollen, dann macht das im Hauptverkehrsnetz auf jeden Fall Sinn“, sagte sie. Aktuell ordne die Senatsverwaltung eine Maßnahme an, die Bezirke müssten sie aber dann umsetzen. „Das sind Momente des Ping-Pongs“, sagte Herrmann.

Eine neue Einheit auf Senatsebene sieht Herrmann zu diesem Zweck allerdings kritisch. „Bis wir bei der Senatsverkehrsverwaltung eine neue Verwaltungseinheit aufbauen und arbeitsfähig machen, ist die nächste Legislaturperiode schon vorbei.“ Stattdessen könnte ihr Bezirk die Errichtung von Radwegen in ganz Berlin übernehmen. Es gebe immer wieder Aufgaben, die ein Bezirk in Vertretung der anderen ausführe, sagte Herrmann. Lichtenberg etwa kümmere sich stadtweit um abgestellt Schrottautos.

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Offen für eine zentralere Gestaltung hatte sich am Wochenende auch der Abgeordnete Sven Kohlmeier ausgesprochen, wenn sich dadurch die aus seiner Sicht miese Bilanz von Verkehrssenatorin Günther beim Radwegebau verbessern würde. "Wenn die Zuständigkeiten das Problem sind, dann muss die Senatorin zum Abgeordnetenhaus kommen und sagen, ich brauche mehr Kompetenzen." Das Parlament hätte dann auch etwas unternommen. Die Grünen bereits in den Koalitionsverhandlungen 2016 einen ähnlichen Vorschlag gebracht. Damals waren sie jedoch unter anderem am Widerspruch der SPD gescheitert.

Neukölln fordert mehr Personal

Neuköllns Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD) sieht die Vorschläge von Kapek und Herrmann kritisch. „Die Forderung nach einer Zentralisierung sehe ich als Reflex, weil man den hohen Erwartungen der Radfahrer:innen nicht gerecht wird und jetzt schnell versucht zu handeln.“ Die Idee klinge unausgegoren, sagte Hikel: „Ich habe da zu viele Fragezeichen, etwa was die Straßenbaulast betrifft. Wer macht die Projektkoordinierung, wer betreut die Baufirmen?“ Er selbst bewertet die Bilanz der Bezirke, insbesondere seines eigenen, weniger schlecht. „Die Bezirke haben eine ganze Menge auf die Straße gebracht, dort wo es ging."

Durch das Mobilitätsgesetz seien jedoch Erwartungen geweckt worden, dass sich von heute auf morgen alles ändern würde. Dass dem nicht so sei, zeige sich an der Hermannstraße. "Da hat man verkannt, welche Mammutaufgabe das manchmal ist", erklärte der Neuköllner Bezirksbürgermeister. Am nachhaltigsten sei, wenn die Bezirke mehr Personal für die Verkehrsplanung bekämen.

Marzahn-Hellersdorf und Reinickendorf kritisieren Zentralisierung

Auch andere Bezirke teilen die Kritik an dem Vorschlag. „Wir können besser einschätzen was der Bezirk will und braucht, weil unsere Verwaltung viel näher an den Bürgern dran ist“, sagte Nadja Zivkovic (CDU), Verkehrsstadträtin in Marzahn-Hellersdorf. Zudem habe die Senatsverwaltung ohnehin schon über das Allgemeine Zuständigkeitsgesetz (AZG) die Möglichkeit, die Planungsvorgaben für den Umbau von Hauptstraßen zu machen.

Ähnlich äußerte sich der Bezirk Reinickendorf. „Kompetenzen auf Landesebene zusammenzuziehen sind nicht neu, aber bisher immer gescheitert“, teilte das Büro von Verkehrsstadträtin Katrin Schultze-Berndt (CDU) mit. Es werde angezweifelt, dass sich Vorhaben dadurch beschleunigten. Denn auch eine Senatsverwaltung müsse sich an die gültigen gesetzlichen Vorgaben wie die Landeshaushaltsordnung, Vergaberichtlinien, technische Vorschriften für die Planung und bauliche Umsetzung halten. „Die Wege in der bezirklichen Verwaltung sind kürzer und die Ortskenntnis ist ebenfalls nicht zu unterschätzen. Weiterhin spielt die Identifikation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit dem Bezirk eine nicht unbedeutende Rolle, ob ich einen Radweg irgendwo in Berlin plane oder baue, ist anders als im eigenen Bezirk“, hieß es.

Ähnlich sieht es der verkehrspolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Henner Schmidt. „Die Bezirke und die BVVen kennen die lokalen Probleme besser und sind näher an den Menschen, was ihnen ermöglicht, Planungen vor Ort zu optimieren.“ Die Grünen strebten dagegen nun an, ihre „ideologische Verkehrsplanung“ auf alle Bezirke zu übertragen, sagte Schmidt. „Besser wäre es, die Bezirke endlich besser auszustatten, damit diese ihren Aufgaben gerecht werden können.“

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