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Berlin: Guck, der Muck

In der Märcheninszenierung am Gorki-Theater gibt’s viel zu sehen: Menschen und Puppen auf einer Bühne.

Kaum lacht der dicke Sultan, schon lächeln die Hofschranzen aus Pappe. Kaum meckert der dicke Sultan, schon schauen sie zerknirscht drein. Zwei Handbewegungen – Maske runter, Maske hoch – zack, ist die Mimik gewechselt, und es war nicht mal das Gesicht des Puppenspielers zu sehen. Schön plakativ, ein bisschen wie Cartoon- oder Comicfiguren sehen die großformatigen, schwarz-weiß gezeichneten Flachpuppen aus. Gerade in der Masse sind sie ungleich expressiver als kleine rosa Menschengesichter.

Menschen sind bei der Märchenproduktion „Der kleine Muck“ des Maxim-Gorki-Theaters und der in Lichtenberg, gleich neben dem Theater an der Parkaue ansässigen Puppenspielabteilung der Schauspielschule Ernst Busch, nur in ausgewählten Rollen dabei. Oscar Olivo spielt den traditionell mit Riesenturban und Kaftan kostümierten Muck und Aram Tafreshian den Sultan, der hier König heißt. Wobei beide in Soeren Voimas Bearbeitung des 1826 veröffentlichten Märchens von Wilhelm Hauff auch noch eine andere Funktion haben. Die wird hier aber nicht ausgeplaudert. Nur so viel: Muck, der in seinen bald 200 Märchenfigurenjahren inklusive etlicher Verfilmungen eigentlich nie groß aus dem Orient rausgekommen ist, landet in Christian Weises Inszenierung für Menschen ab sechs mit seinen Zauberpantoffeln auf einem Feld bei Königswusterhausen und kauft sich eine Eigentumswohnung in der Mulackstraße. Huch!

Sehen und gesehen werden – genau das ist das Wesen des Schauspiels. Und eine Märchenfigur wie Muck wird nicht von ungefähr wegen seiner Zwergengestalt und seines sonderbaren, vom Vater geerbten Aufzugs verlacht. In dieser Welt zählt der Augenschein. Und das ist am Theater gleichzeitig der Schauwert. Dafür ist bei diesem Stück Julia Oschatz zuständig. Die bildende Künstlerin aus Neukölln, die schon seit zehn Jahren als Bühnenbildnerin mit Regisseur Weise zusammenarbeitet, hat sowohl die 100 Masken- und Figurengesichter als auch die Vorlagen für die Videoprojektion gezeichnet. „In der Ästhetik eines Ausmalbuchs“, sagt sie. Daher die Konturen, daher der nur partielle Einsatz von Farben, daher das Unfertige. Ein Spektakel, das Staunen macht, soll das Stück trotzdem sein. „Wir schaffen mit den Projektionen einen illusionistischen Palast.“ Und mit der abstrahierenden Kombination aus Schauspielern, Masken und Figuren die Chance, die Bilder im Kopf fertig auszumalen. „Kinder haben damit keine Schwierigkeiten“, sagt Oschatz, „die schauen vorurteilsfrei hin.“

Apropos Hinsehen: Aus diesem Grund ist Oscar Olivo Schauspieler geworden. Um genau hinzusehen. Nicht etwa, um gesehen zu werden. „Nee“, winkt der 1981 in New York geborene Sohn spanischsprachiger Eltern aus der Dominikanischen Republik ab, „was ich möchte, ist, zeigen, wie Menschen sind“. Deswegen beobachtet er sie, wo er geht und steht, auf der Straße, in der Bahn, sammelt Bewegungsstudien, sammelt kleine Szenen, wie er erzählt. Das war auch der Grund, erst an der Columbia University Schauspiel zu studieren und dann durch die Bekanntschaft mit Christian Weise, selbst Puppenspiel-Absolvent der Ernst Busch, noch eben jenes Studium in Berlin hinterherzuschieben. Seit drei Jahren ist er festes Ensemblemitglied am Schauspiel Hannover.

Doch Menschen sind nicht das Einzige, was er sieht. „Ich suche nach Formen, nach Rhythmen, nach harmonischen Mustern, egal ob in der Natur oder in der Stadt.“ Dann erkennt er schlagartig, dass Leute in der Fußgängerzone stehen, die die Farbe Rot verbindet. Einer trägt ein Hemd, eine Tasche, einer einen Schal. „Das wirkt auf mich wie ein Kostümkonzept.“ Als Zuschauer ist ihm im Theater visuelle Klarheit wichtig. „Etwa, dass das Bühnenbild nur aus Stahl statt aus einem Materialmix besteht.“ Sein Augentrost, das, was er persönlich am liebsten sieht, war im heimischen New York das Meer. „Dessen unendliche Weite relativiert alle Dinge.“ Nach Berlin umgezogen, war’s damit natürlich vorbei. „Hier habe ich den Himmel mit seinen Wolkenschiffen für mich entdeckt.“

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