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Berlin: Gutachter-Tarif ist Ärzten zu niedrig

Auf einen Behindertenausweis müssen Betroffene monatelang warten Lageso-Chef fordert vom Senat höhere Vergütungen für Mediziner.

Um Menschen mit Handicap künftig schneller mit einem Behindertenausweis versorgen zu können, fordert das Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso), die Vergütungen der beteiligten Gutachterärzte zu erhöhen. „Wir bekommen oft nur schwer Ärzte für die Begutachtung der ärztlichen Befunde, weil wir dem Gutachter nur 15 Euro zahlen können, das sieht der Landeshaushalt so vor“, sagt Lageso-Präsident Franz Allert.

Wie berichtet, müssen Menschen nach Krankheit oder Unfall in Berlin im Bundesvergleich nahezu doppelt so lange warten, bis sie einen Ausweis bekommen. Derzeit leben laut Allert 405 000 Menschen mit anerkannter Schwerbehinderung mit einem Grad von 50 bis 100 Prozent in Berlin sowie 190 000 geringer Behinderte mit einem Grad zwischen 20 und 50 Prozent. Die meisten haben Beschwerden an der Wirbelsäule, psychische Probleme und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Ein Behindertenausweis ermöglicht sogenannte Nachteilsausgleiche, etwa steuerliche Vorteile und eine BVG-Karte sowie Kündigungsschutz und mehr Urlaubstage vom Beruf.

Derzeit müssen die jährlich 72 000 Antragsteller beim Erstantrag 154 Tage, bei der Neufeststellung 186 Tage warten, teils auch ein Jahr. Laut Lageso-Chef Allert soll die Wartezeit ab 2013 kürzer werden, wenn die neue Software „Osavweb“ eingespielt sei. „Mein Ziel sind drei Monate.“ Berlins Behindertenbeauftragter Jürgen Schneider sieht aber noch „verwaltungsmäßige Defizite in der Behörde“.

Schneider bestätigt indes die Aussage des Lageso-Chefs, es sei sehr schwierig, bei den in Berlin ohnehin knappen Orthopäden, Neurologen und Kardiologen Gutachterärzte zu bekommen. Er unterstützt die Lageso-Forderung, Gutachter müssten wie die Ärzte, die einen Befund für den Antrag ausstellen, 21 Euro bekommen. Außerhalb Berlins werden bis zu 28 Euro gezahlt. „Wegen der geringen Vergütung gibt es auch Defizite bei der Qualität“, kritisiert Schneider. Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) verweist darauf, dass Ärzte, die bei Gericht Gutachten erstellen, rund 50 Euro erhalten. „Bei 15 Euro ist die Frage, ob Aufwand und Entlohnung im richtigen Verhältnis zueinander stehen“, sagt eine KV-Sprecherin. Dem Lageso-Präsident zufolge erhalten Gutachter etwa für die Arbeitsagenturen und Rentenversicherungen 30 bis 60 Euro. Derzeit müssen beim Lageso jedes Jahr 120 000 Gutachten erstellt werden, bei 97 Prozent der Fälle wird der Behinderungsgrad nach Aktenlage eingestuft.

Rund 20 Gutachterärzte mehr würden gebraucht, um sie wird etwa bei Ärztefortbildungen geworben. Ein Gutachter, ein 50-jähriger Chirurg mit Praxis in Prenzlauer Berg, sagte dem Tagesspiegel, „ich mache das aus alter Verbundenheit zur Sozialmedizin, weil es eine Abwechslung ist – und weil die Leute im Versorgungsamt engagiert arbeiten. Aber viele Kollegen winken ab, wenn sie 15 Euro hören.“

Lageso-Chef Allert spricht sich dagegen aus, die Kompetenzen der Sachbearbeiter im Versorgungsamt zu erhöhen, um die Bearbeitungszeit zu senken. Dieses werde nur in Mecklenburg-Vorpommern praktiziert und sei vom Bundessozialministerium als rechtswidrig erachtet worden. Der Weg zum Ausweis dauere auch so lange, weil der ganze Prozess der Bewilligung wieder von vorne gestartet werden müsse, wenn Betroffene bei einer Verschlimmerung des Zustandes neue Befunde einreichen. Dies betreffe rund 15 Prozent der Berliner Fälle. Schwerkranke wie HIV-Infizierte, ALS- oder Krebspatienten würden aber stets vorgezogen, wie auch Berufstätige. Annette Kögel

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