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Ein Team für die Biodiversität: Marlene Bruce, Carlo Horn, Swenja Rosenwinkel, Miriam Boyer.

© Christoph M. Kluge

Haferdrink aus der Region: Dieses Start-up zielt aufs volle Korn

Drei Berliner Gründerinnen und ein Brandenburger Bauer bringen einen besonderen Haferdrink auf den Markt. Doch das Projekt ist in Gefahr.

Bauer Carlo Horn prüft die Haferkörner mit der Hand. Ganz zufrieden ist er nicht. Der Regen, auf den die Landwirte der Region normalerweise hoffen, kam zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Jetzt muss Horn noch ein paar Tage warten, bis das Getreide trocken genug ist für die Ernte. Aus den Körnern wird ein Produkt hergestellt, das sich auf einem hart umkämpften Markt beweisen muss.

In Grünheide, nahe der geplanten Tesla-Fabrik, wächst der Grundstoff für den Haferdrink des Berliner Start-ups Kornwerk. Es gibt zwar mehrere solcher Milchersatzprodukte. Doch dieser habe ein Alleinstellungsmerkmal, sagt Mitgründerin Swenja Rosenwinkel: „Es gab bisher keinen Drink, der ausschließlich mit Zutaten aus der Region gemacht ist und auch nur in der Region verkauft wird.“

Die Konkurrenz erscheint übermächtig: Der schwedische Hersteller Oatly macht mit massiven Werbekampagnen auf sich aufmerksam. Der Konzern gehört zu 40 Prozent dem Großinvestor Verlinvest, dem Haupteigentümer der weltgrößten Brauereigruppe Anheuser-Busch InBev, und zu weiteren 40 Prozent dem chinesischen Staatskonzern China Resources. Der Markt für Bioprodukte hat sich in den vergangenen Jahrzehnten von der Nische zu einem Schlachtfeld der Global Player entwickelt.

Doch die Macherinnen von Kornwerk setzen auf die Zusammenarbeit mit kleinen Betrieben. Regionale Nahrungsmittel liegen im Trend. Die Nachfrage wächst seit Jahren, durch die Coronakrise wurde diese Entwicklung noch verstärkt. Das geht aus dem aktuellen Ernährungsreport des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft hervor.

Demnach gaben 83 Prozent der Befragten in einer Forsa-Umfrage an, es sei ihnen beim Lebensmitteleinkauf wichtig, dass ein Produkt aus der Region komme. Zum Vergleich: 2017 sagten das 78 Prozent, im Jahr davor 73 Prozent.

„Regional heißt für uns maximal 350 Kilometer Entfernung von Produktion und Verkaufsstelle“, sagt Kornwerk-Mitgründerin Miriam Boyer. Der Betrieb von Biobauer Carlo Horn hat etwa 100 Hektar Fläche. Auf zehn Hektar davon baut er momentan Hafer für Kornwerk an.

Nach der Ernte werden die Körner von einer kleinen Mühle im Spreewald gemahlen, anschließend in Neubrandenburg zum Getränk verarbeitet und in wiederverwendbare Glasflaschen abgefüllt. Über den Biogroßhändler Terra kommt das Produkt in Bioläden in Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern.

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Der Kornwerk-Drink ist nicht ultrahocherhitzt, auch das unterscheidet ihn vom Wettbewerb. Daher muss er, wie frische Milch, schneller aufgebraucht werden. Das soll, so sagen es die Kornwerk-Frauen, gesünder sein. Und schmackhafter. Besonders am Herzen liegt den Gründerinnen jedoch die Verwendung alter Hafersorten.

Kornwerk möchte die Biodiversität in Brandenburg stärken

„Das ist ein verlorener Schatz“, sagt Miriam Boyer. Neben ihrem Engagement als Gründerin ist sie Projektleiterin bei einem Forschungsprojekt zu Bioökonomie an der Humboldt-Universität. In der vorindustriellen Landwirtschaft habe es unzählige Hafersorten gegeben. Das Getreide habe sich seit jeher an die jeweiligen Böden und Bedingungen angepasst, so sei die Vielfalt entstanden. Doch die industrielle Produktion habe sie zunichtegemacht.

Der Kornwerk-Drink soll zudem auch die Biodiversität in Brandenburg stärken. „Diese Sorten gibt es nur noch in Genbanken, sie werden selten angebaut.“ Deshalb seien nur kleine Mengen an Saatgut verfügbar, die erst vermehrt werden müssten. „Das macht das Projekt noch viel schwieriger“, sagt Boyer. Das Start-up kooperiert mit dem Vern e. V. Dieser Verein setzt sich für die Erhaltung und Rekultivierung der vergessenen Nutzpflanzen ein.

Kornwerk verwendet ausschließlich Hafer aus der Region.
Kornwerk verwendet ausschließlich Hafer aus der Region.

© Christoph M. Kluge

Momentan reicht die Produktionsmenge der alten Sorten noch nicht aus, deshalb kommen noch andere Bio-Hafersorten mit in den Drink. Der Anteil der alten Sorten soll nach und nach gesteigert werden. Sie hätten aber großes Potenzial, sagt Swenja Rosenwinkel. Womöglich seien manche von ihnen sogar besonders widerstandsfähig gegen die Brandenburger Dürre. Das werde sich aber erst in der Praxis zeigen.

Ein weiteres Ziel: „Wir wollen das ganze Korn verwenden“, sagt Marlene Bruce. „Für den Drink ist nur ein Teil nutzbar. Am Ende der Produktion bleibt eine Hafermasse übrig, die viele Nährstoffe enthält.“ Daraus könnten in Zukunft zum Beispiel Kekse gebacken werden, wenn es gelingen sollte, eine geeignete Bäckerei zu finden.

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Ohne Carlo Horn wäre all das nicht denkbar. Der in Grünheide aufgewachsene Biobauer teilt die Leidenschaft der Berlinerinnen für die Biodiversität. Deshalb versucht er herauszufinden, welche Hafersorten am besten geeignet sind. Das Problem: Der Anbau ist mit wirtschaftlichen Risiken verbunden. Denn erst auf dem Feld wird erkennbar, wie die Pflanzen auf die Anbaubedingungen reagieren. „Nicht jeder Bauer lässt sich darauf ein. Zumal der Ertrag meistens geringer ist“, sagt Boyer.

Planungssicherheit für den Bauern

In wirtschaftlicher Hinsicht basiert die Zusammenarbeit zwischen Start-up und Bauernhof auf einem ungewöhnlichen Kooperationsmodell, das Horn „solidarische Haftungsgemeinschaft“ nennt. Auch er macht sich ganz grundsätzliche Gedanken. Normalerweise müsse der Bauer in Vorleistung gehen, sagt Horn. Bei der Aussaat wisse er nur eines sicher: Dass er die die Kosten für Pacht, Maschinen, Saat, Düngemittel und vieles mehr bezahlen müsse. Ob er seine Ernte verkauft – und wenn ja, zu welchem Preis –, sei hingegen völlig ungewiss.

Doch die Zusammenarbeit mit Kornwerk funktioniere anders: Vorab wird ein Zielertrag pro Hektar definiert und ein Preis pro Produkteinheit. Entscheidend ist dabei, dass der Preis für die gesamte Abnahmemenge in Raten über das Jahr ausgezahlt wird, erläutert Horn. „Das verzahnt Landwirt und Verarbeiter miteinander, weil beide Seiten Interesse daran haben, dass der Laden läuft.“

Sollte die Ernte die erhoffte Menge doch nicht erreichen, kaufe Horn von anderen kleinen Biobetrieben Hafer zu. Auch dabei greife er nicht zum „billigsten Hafer auf dem Weltmarkt“, sondern unterstütze den „unmittelbaren Bionachbarn“.

Der regionale Anbau ist für Horn der einzig richtige Weg. Die Mühle befindet sich in „Traktorreichweite“, Horn fährt den Hafer fast direkt vom Feld dorthin. Er würde am liebsten auch die Produktion näher heranholen, etwa auf seinen eigenen Hof. Der Betrieb war zu DDR-Zeiten eine Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft (LPG).

Das Problem: Ein landwirtschaftsfremder Großinvestor mache dem kleinen Betrieb das Land streitig. Eine Gerichtsverhandlung im September werde über die Zukunft seines Hofes entscheiden, sagt er. Sollte Horn den verlieren, müsste auch Kornwerk umdenken.

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