zum Hauptinhalt
Mehrsprachigkeit ist ein Mehrwert.

© dpa

Kolumne "Mein Berlin": Hannoveraner Türkisch in Charlottenburg

Der türkische Ministerpräsident Erdogan hat eine Debatte über die Sprachkenntnisse von Kindern mit Migrationshintergrund angestoßen. Hatice Akyün findet, dass das Problem des Nicht-Türkisch-Könnens bei Türken vernachlässigt wird.

Haben Sie auch von der Düsseldorfer Rede des türkischen Ministerpräsidenten Erdogan gehört? Jene, in der er sagt, dass türkische Kinder Deutsch lernen sollen, aber bitteschön zuerst Türkisch. Was für eine Unverschämtheit, oder? Eine Frechheit, Anmaßung, Unverfrorenheit, finden Sie nicht auch? Warum hat er das nicht schon viel früher verordnet? Dann hätte ich mich am vergangenen Wochenende nicht so blamieren müssen, als ich verzweifelt nach dem türkischen Wort für „Knete“ gesucht habe. Zuerst in meinem Kopf, anschließend in Langenscheidts Türkisch-Deutsch-Wörterbuch. Ich würde wissen, was Kartoffeldruck auf Türkisch heißt und sogar das türkische Wort für Clownskostüm. Wobei das ja schon zwei Wörter sind, die ich nicht kenne.

Ich hätte eine Tochter, die sich nicht weigern würde, Türkisch zu sprechen. Es käme zu keiner Türken-Tragödie, sobald ich sie höflich darum bitten würde, ihrer Muttersprache ein wenig mehr Respekt zu zollen. Stattdessen wirft sie sich theatralisch auf den Boden, schlägt sich auf den Kopf, rauft sich die Haare, trommelt mit den Fäusten gegen ihre kleine Brust, schimpft, flucht und kreischt: „Ich will aber Deutsch sprechen.“ Ich weiß gar nicht, woher das Kind dieses überschäumende Temperament hat.

Meine Tochter hat also eigenmächtig entschieden, nicht mehr Türkisch zu sprechen. Da müht man sich ab, seinem Kind den Mehrwert von Mehrsprachigkeit zu vermitteln und wird mit Einsprachigkeit bestraft. Dabei versuche ich doch nur, die viersprachigen Prinzessin-Lillifee-Bücher in ihren stramm organisierten Tagesablauf einzugliedern.

Aber wo sollten wir am Savignyplatz auch Türkisch lernen? Hier im Multikulti-Edelviertel gibt es keine türkischen Gemüsehändler an jeder Ecke. Der einzige türkische Gemüsehändler nennt sich bei uns Obstkörbchen. Nicht mal eine Moschee haben wir, es sei denn, sie tarnt sich als Hinterhofmoschee, in denen bärtig-grimmige Muselmanen sitzen, die den Dschihad auf Auslegware von Teppich Hübner planen. Wir haben nur einen Bio-Öko-Demeter-von-Erzeugern-aus- dem-Umland-Wochenmarkt und Butter Lindner. Sogar Heinz Buschkowsky rümpft die Nase und beschimpft uns als Edelmigranten, weil wir nicht auf seinem Neuköllner Abenteuerspielplatz wohnen wollen.

Hatice Akyün.

© Andre Rival

Ich habe nur eine Freundin in Charlottenburg, die Hochtürkisch spricht. Wir nennen Selma deshalb auch „Hannoveranerin der Türken“. Metin dagegen spricht so schlecht Türkisch, dass er nicht mal das R rollen kann. Und meine Nachbarin Ebru rollt das R zwar perfekt, nur Türkisch spricht sie nicht. Sie kommt aus Bayern.

Da saß ich nun am Wochenende mit meinem Langenscheidt und überlegte, wie es so weit kommen konnte? Ich habe eine Tochter mit türkischem Migrationshintergrund, die sich weigert mit ihrer Mutter mit türkischem Migrationshintergrund Türkisch zu sprechen. Ich finde, dass das Problem des Nicht-Türkisch-Könnens bei Türken in der ganzen Integrationsdebatte sträflich vernachlässigt wird.

Mir fielen bei dieser Gelegenheit die türkischen Kinder in Neukölln ein, die täglich Satellitenschüsseln leer gucken, aber nicht in der lebensnotwendigen Lage sind, eine Juniortüte auf Deutsch zu bestellen. Und ich erinnerte mich an die türkischen Kinder in Charlottenburg, deren Sätze zwar mit „danke“ und „bitte“ enden, für die Lahmacun Türkische Pizza heißt. Und plötzlich kam mir eine zündende Idee: Eine deutsch-türkische Spielgruppe zur Förderung der Mehrsprachigkeit türkischstämmiger Kinder. Man müsste die Neuköllner Kinder mit den Charlottenburger Kindern in Spielgruppen zusammenbringen. Ich sollte das sofort angehen, Heinz Buschkowsky anrufen, die Moscheeverbände kontaktieren, türkische Elternvereine in Neukölln informieren, Flyer in Kindergärten verteilen. Ja, das mache ich, auf der Stelle. Aber vorher muss ich kurz noch im Langenscheidt nachgucken, was Spielgruppe auf Türkisch heißt.

Die Autorin lebt als Schriftstellerin und Journalistin in Berlin. Ihre Kolumne erscheint jeden Montag.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false