zum Hauptinhalt

Berlin: Hans Losch (Geb. 1930)

Ein Theatermogul der Puppenwelt. Offizieller Titel: Haushandwerker.

Er war nicht zu groß. Das ist wichtig für einen Puppenspieler. Wer zu groß ist, muss gebeugt spielen, sonst lugt der Haarschopf über die Bühnenkante, ein Fauxpas, und Hans Losch war streng in solchen Dingen. Geradezu unerbittlich.

Er brüllte schon mal, wenn jemand glaubte, ein wenig schludern zu dürfen, weil es ja Laientheater ist und im Publikum nur Kinder sitzen.

Hans Losch, Ernst-Busch-Absolvent und staatlich geprüfter Berufspuppenspieler, verlangte Disziplin und Perfektion. Er führte das professionellste Laienpuppentheaterensemble Deutschlands.

Grimms Märchen haben sie gespielt, in russischer Adaption, das Rotkäppchen wird dabei nicht gefressen, sondern kämpft tapfer gegen den Wolf, unterstützt vom Angsthasen, der sich als Muthase entpuppt. Erzieherisch einwandfrei mussten die Märchen sein, weil ihr Arbeitgeber das Haus der DSF war, der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft. Hans Losch war das aber egal, Hauptsache, er konnte Märchen spielen, nicht mehr diese trockenen Brecht-Adaptionen wie an der Staatlichen Puppenbühne Greifswalder Straße, wo er angefangen hatte.

Hans Losch war nicht slawophil, er sprach nicht besser russisch als der Durchschnitts-DDR-Bewohner, aber er brachte Leben ins Haus, war gewissermaßen der Quotenbringer der verstaubten Kultureinrichtung. Die Aufführungen der DSF-Puppenbühne waren fast immer ausverkauft.

Seine Frau spannte er ein, seine Kinder sowieso, diesem Bühnenberserker konnte man sich schwer entziehen. Ein Theatermogul der Puppenwelt. Er rauchte Kette, um seine Nerven zu bändigen. Er kümmerte sich um alles, worum sich sonst keiner kümmerte. Offiziell war er schließlich als Haushandwerker beschäftigt, damit verdiente er sein Geld.

Im Sommer, wenn kein Theater gespielt wurde, werkelte Hans Losch an seiner Datsche in Wandlitz herum. Er konnte nicht ausspannen oder dasitzen und lesen. Er werkelte so lange, bis das Theater im Spätsommer wieder aufmachte.

Die Puppen, große Stabpuppen aus Pappmaché, fertigte ein guter Freund, Herbert Löchner, der Vater des DDR-Sandmanns. Natürlich nur in enger Absprache mit Theaterchef Losch und Ko-Chefin Eva, seiner Frau, die inszenierte, wenn Hans auf respektive unter der Bühne stand. In der Puppe ist schon alles angelegt, was die Bühnenfigur später ausdrücken soll. Ist der Prinz etwas hochnäsig oder eher jovial, soll der Fuchs verschlagen sein oder tollpatschig? Gegen die Puppe zu spielen ist zwecklos.

Hans Losch liebte den König im Aschenbrödel, sein Alter Ego. Ein älterer, pausbäckiger, den Menschen zugewandter Herr. Den König spielte er meistens selbst, ihn behielt er bei sich, als das Puppentheater nach der letzten Vorstellung geschlossen wurde. Das war 1997. Sieben Jahre hatten sie nach der Wende durchgehalten, dann ging das Geld aus.

Am letzten Tag führt Hans Losch seine Kamera durch die stillen Räume, zeigt die leere Bühne, den Saal mit den rot bezogenen Sitzen, den langen Flur bis zur Kasse, vorbei an den vielen Theaterplakaten. Fast 40 Jahre sind vergangen, seit die Puppen zum ersten Mal auf der Bühne standen. Die Stimme von Hans Losch quält sich unter der Last der Erinnerungen: „Naja, was soll’s.“

Etwas später ist der Saal voll, 120 Kinder sind gekommen, sie warten auf die Froschprinzessin. Nach der Vorstellung steht ein Lkw vor dem ehemaligen Haus der DSF. Es heißt jetzt Palais am Festungsgraben. Die Bühnenbilder kommen in den Fundus des Neuköllner Puppentheatermuseums.

321 Mal haben sie „Die feuerrote Blume“ gespielt, 541 Mal „Frau Holle“, 274 Mal „Die Zaubergalosche“, 319 Mal „Rotkäppchen“. Zweimal reisten sie zu Gastspielen nach Moskau. Die Auszeichnungen und Urkunden, die sie für ihre Arbeit bekommen haben, füllen zwei Schachteln.

Der Theatermogul zieht sich auf seine Datsche zurück, werkelt wieder, kommt aber nicht los von den Bildern und Szenen in seinem Kopf, von seinem Puppentheater. Was andere Bühnen machen, viel kleiner und einfacher ausgestattet, interessiert ihn wenig. Hans Losch braucht das Vertraute. Er hat am liebsten seine große Familie um sich und dreht kleine Videofilme. Nach 40 Jahren muss er auch sein Grundstück aufgeben. Er hat nicht mehr genug Kraft.

Hans Losch schaut sich alte Filme mit Johannes Heesters an. Oder seine eigenen, die Videofilme der Puppeninszenierungen. Immer wieder. Er will gar nichts anderes mehr sehen. In seinem Kopf sitzen Metastasen. In den Märchen ist nichts vergangen, sie beginnen einfach wieder von vorn. Thomas Loy

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false