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In den achtziger Jahren kam der Schriftsteller Bov Bjerg nach Berlin. Das Mehringhof-Theater wurde schnell eine wichtige Adresse für ihn in Kreuzberg.

© Kitty Kleist-Heinrich

Kiezspaziergang mit „Auerhaus“-Autor Bov Bjerg: „Hier habe ich meine Jugend verschwendet“

Bov Bjerg ist Schriftsteller und Kabarettist im Mehringhof-Theater. Sein Buch „Auerhaus“ war ein Bestseller. Ein Spaziergang durch Kreuzberg, wo er groß wurde.

Der Mehringhof liegt in dem Teil von Kreuzberg, der früher von Amts wegen die Postzustellnummer 61 hatte und immer als schicker, bürgerlicher galt. Doch es regiert hier noch der Charme des einstigen Kreuzberg 36: bunt und politisch bewegt, etwas wüst, abgerockt.

Konzertplakate säumen den Weg von der Gneisenaustraße in den Hof, das Astra-Bier-Herz vor dem „Clash“, der Kneipe im vorderen Hofbereich, leuchtet einem an diesem kalten, düsteren Spätjanuartag von weitem entgegen. Und über dem Clash, das früher Ex hieß und ein ordentlicher Hardcore-Schuppen war, hängt ein weißes Banner mit der Aufschrift „#Rise Up 4 Rojava“.

Der Hashtag verweist auf die „Internationale Kampagne zur Verteidigung der Revolution in Rojava und ihrer Erfolge“, wie es auf der zugehörigen Website heißt; Rojava ist der kurdische Name der kurdischen Gebiete Nordsyriens an der Grenze zur Türkei.

Hinten im Mehringhof, wo unter anderem der Buchladen Schwarze Risse, der Verbrecher Verlag, ein Fahrradladen und das Mehringhof-Theater ihr Zuhause haben, steht schon Bov Bjerg: gut ein Meter neunzig groß, Mütze, blaue Winterjacke, Jeans. Als ihn die Anfrage zu dem Spaziergang erreichte, wusste Bjerg sofort wohin: in die Gegend hinter der Gneisenaustraße, den Kiez um Chamissoplatz und Bergmannstraße. „Da habe ich von 1986 bis 1999 meine Jugend verschwendet“.

Das Mehringhof-Theater war für ihn die ultimative Adresse, nachdem er 1984 aus dem schwäbischen Heiningen nach Berlin gekommen war, um dem Dienst bei der Bundeswehr zu entgehen.

„Ich war schon früh ein Theater- und Kabarettfan, und als ich 1986 von Lichterfelde nach Kreuzberg zog, in die Fidicinstraße, hatte ich nur ein paar Schritte hierher zu gehen. Ich habe zum Beispiel Josef Hader oder Georg Schramm gesehen, aber auch Abwegiges, etwa einen südafrikanischen Kabarettisten, den ich, obwohl des Englischen mächtig, gar nicht verstand. Der war jedoch total unterhaltsam.“

Bergs bürgerlicher Name: Rolf Böttcher

Bjerg wechselte bald die Seiten und bestieg selbst die Bühne. Es muss zu dieser Zeit gewesen sein, er schweigt sich darüber aus, „nicht wieder das!“, als er begann, sich nach einer dänischen Ortschaft zu nennen: Bovbjerg. Geboren wurde er 1965 mit dem bürgerlichen Namen Rolf Böttcher.

Nach der Wende gründete er mehrere Lesebühnen im Osten der Stadt mit, unter anderem die Reformbühne Heim & Welt; 1997 ging es dann mit Horst Evers, Christoph Jungmann, Hannes Hersch und Manfred Maurenbrecher im Mehringhof-Theater los.

Inzwischen ist der Name Bov Bjerg vor allem im Literaturbetrieb bekannt. 2015 erschien sein genauso beschwingter wie melancholischer schwäbischer Adoleszenzroman „Auerhaus“. Der entwickelte sich zu einem Bestseller, wurde mehrfach fürs Theater adaptiert und vor kurzem von Neele Leana Vollmar verfilmt.

Vielversprechender neuer Roman „Serpentinen“

Dieser Tage nun ist Bjergs neuer Roman „Serpentinen“ veröffentlicht worden, eines der besten deutschsprachigen Bücher dieses Frühjahrs: eine Familiengeschichte, ein Roman über einen suizidgefährdeten Vater und dessen Sohn. Beide befinden sich auf einer Reise durch die schwäbische Provinz und in die Kindheit und Jugend des Vaters; gleichzeitig geht diese Reise in die finstere Bundesrepublik und ihre NS-Vergangenheit.

„Kabarett und Literatur haben sich bei mir im Lauf der Zeit völlig auseinanderentwickelt“, sagt Bjerg, dessen schwäbisches Idiom man in Form eines leichten Singsangs immer noch gut heraushört. Im Mehringhof jedoch ist er weiterhin dabei, nämlich immer, wenn er und seine Mitstreiter sich an den „Kabarettistischen Jahresrückblick“ machen, manchmal bis zu 45 Veranstaltungen im Dezember und Januar. „Ich rede da ja immer vom ,Spielen’. Doch stimmt das nicht ganz“, erklärt er, „das Kabarettistische ist bei mir ja auch immer nur Vorlesen.“

Früher war er begeisterter Zuschauer im Mehringhoftheater. Mittlerweile tritt Bjerg dort mit seinem eigenen Programm auf.

© Kitty Kleist-Heinrich

Später im Café „Atlantic“ in der Bergmannstraße wird er erzählen, dass er sich auf den Lesebühnen irgendwann eingeengt gefühlt habe; die Textformate seien von ihm zunehmend gesprengt und immer länger geworden, die „Dichte vordergründiger Gags“ immer geringer: „Das kann man dem Publikum bei solchen Shows nicht zumuten.“

Bjerg ist ein zugewandter, freundlicher Mann, er lacht viel. Häufig meint man, leicht Hintergründiges in seinen Sätzen mitschwingen zu hören, selbst wenn die ganz schlicht sind: „Wollen wir weiter?“. Also geht es vom Mehringhof in die Fidicinstraße, wo er lange Jahre gewohnt und vor der immer notwendiger werdenden Renovierung solange ausgeharrt hatte, „bis das Haus praktisch auseinanderfiel“ – in einer Hinterhauswohnung unterm Dach, „ein Zimmer, Kachelofen, Außenklo zusammen mit dem Nachbarn von gegenüber. Das war wie auf einem fernen Planeten“. Später bekam er eine Umsetzwohnung in der Arndtstraße.

„Ich habe mir den schwäbischen Dialekt geradezu gewaltsam abtrainiert“

„Das ist für mich in diesem Viertel gefühlte Heimat“, so Bjerg. „Ich habe mir hier meinen schwäbischen Dialekt geradezu gewaltsam abtrainiert, beherrsche ihn aber natürlich weiterhin, gerade wenn es in die eigentliche Heimat geht.“ So viel anders als in den mittleren achtziger Jahren wirkt die Gegend mit ihrer gleichmäßigen, gut erhaltenen Bebauung und dem wenigen Grün nicht; schon zu Vorwendezeiten dienten die Straßenzüge um den Chamissoplatz herum oft als Filmkulisse.

Ja, und Kneipen und Bars wie die „Haifischbar“, wo Bjerg nie drin war, „keine Ahnung warum“, wie der „Heidelberger Krug“, „der war so eine Art verlängertes Wohnzimmer für mich“, oder wie eben das Atlantic halten seit Jahrzehnten die Stellung.

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Vor der Nummer 17 der Fidicinstraße bleibt Bjerg stehen, es ist der Eingang zu seinem Ex-Wohnhaus. Nebenan sei eine Kneipe gewesen, „die hatten in ihrem Schaufenster ein Schild mit dem Spruch ,Früher oder später trinken alle Wurzelpeter’“.

Auch an einen Laden mit dem Namen „Zum geteilten Elektriker“ in der Friesenstraße kann er sich erinnern. So wie auch an die drei Jobs bei der Post und als Putzhilfe, die ihn finanziell über Wasser hielten; und dass er, weil sehr friedensbewegt, häufig nach „drüben“ gefahren sei, um Gleichgesinnte zu treffen.

Bjergs Berliner Biografie: typisch westdeutsch

Als Bjerg Ende der neunziger Jahren nach Prenzlauer Berg zog, in die Gegend hinter der Schönhauser Allee, war das nicht nur ein Bezirkswechsel, sondern „gleich ein Landwechsel“ für ihn: „Hier waren alle weiß, das war wirklich gewöhnungsbedürftig nach der Kreuzberger Zeit. Und auch jung. Wenn ich auf die Straße ging, schnellte der Altersdurchschnitt gleich in die Höhe.“

Bjergs Berliner Biografie ist eine typisch westdeutsche. Sie folgt gewissen Gesetzmäßigkeiten: aus der Provinz nach West-Berlin, auch wegen der Bundeswehr, hier erst in Kreuzberg ein stürmisch kreatives Leben führen, dann in Prenzlauer Berg ruhiger, bürgerlicher werden. Inzwischen ist Bjerg dreifacher Familienvater.

Sein erster Roman wurde lediglich 224 Mal verkauft

Er selbst sieht das alles gelassen, auch das mit seinem ständigen Zuspätdransein. Als er 2001 am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig zu studieren begann, „da war nur einer noch älter als ich“. Der Erfolg mit „Auerhaus“ brauchte ebenfalls seine Zeit, der Roman ist nach dem Debüt „Deadline“ von 2008 erst sein zweiter gewesen.

Im Vergleich zu den über 200.000 verkauften „Auerhaus“–Exemplaren ist es ein typischer Bjerg-Witz, wenn auf seiner Website über „Deadline“ steht: „Die Auflage betrug 750 Exemplare. Davon wurden 224 Exemplare verkauft. Der Rest wurde bei einem Lagerbrand vernichtet.“

Und nun, „Serpentinen“? Im „Atlantic“ spricht Bjerg über die Figuren dieses Romans, deren Depressionen und Verhalten, die Suizide – und weist, alle Schriftsteller machen das, autobiografische Einfärbungen weitestgehend zurück. „Selbst wenn es so wäre, würde ich es bestreiten.“ Das seien nur die biografischen Eckdaten des Erzählers und der Schauplatz, die Schwäbische Alb, da kenne er sich eben am besten aus.

Fragt man ihn, ob er gedenke, auch einmal einen Kreuzberg-Roman zu schreiben, kommt erst ein kategorisches Nein. Die Berliner achtziger Jahre, „die sind ziemlich auserzählt.“ Dann lacht er, wieder leicht hintergründig. Und fügt an: „Aber wenn ich einen Ansatz finden würde, der mich reizt, sieht das schon wieder anders aus.“

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