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Berlin: Hugo Andres Krüß: Die Feuerspur der Bücher

Seine Abschiedsworte lesen sich wie ein müdes Gnadengesuch. "Smend, Sie sind ein Christ, lassen Sie mich schlafen", schrieb Hugo Andres Krüß einem seiner Mitarbeiter auf einen Zettel.

Seine Abschiedsworte lesen sich wie ein müdes Gnadengesuch. "Smend, Sie sind ein Christ, lassen Sie mich schlafen", schrieb Hugo Andres Krüß einem seiner Mitarbeiter auf einen Zettel. Aus dem Fenster seiner Dienstwohnung Unter den Linden blickte der Generaldirektor der Preußischen Staatsbibliothek auf den Trümmer bedeckten Opernplatz. Die Spur des Feuers, das nationalsozialistische Studenten dort gelegt hatten, als sie am 10. Mai 1933 Bücher des deutschen Geisteslebens in einen flammenden Scheiterhaufen warfen, hatte die halbe Welt und zuletzt auch Berlin in Brand gesetzt.

Seit Tagen tobte der "Endkampf um die Reichshauptstadt". Sowjetische Truppen standen am Alexanderplatz, pausenlos feuerte ihre Artillerie auf das Regierungsviertel und die Reichskanzlei. In den zitternden Mauern der von Bomben getroffenen Staatsbibliothek stand Hugo Andres Krüß an diesem 27. April 1945 vor den Trümmern seines Lebenswerks und wählte - wie Tausende andere in diesen Tagen - den Freitod durch Gift.

Die Preußische Staatsbibliothek, die vor dem Krieg zu den bedeutendsten Universalbibliotheken der Welt zählte, war beim Tode ihres letzten Generaldirektors längst ein leeres Haus. Bereits 1939 begann die Auslagerung der mehr drei Millionen Bände in 30 Orte im damaligen Reichsgebiet. In alten Bergwerken, Schlössern, Kirchen und Schulen sollten die wertvollen Bestände, darunter historische Handschriften, Drucke und Originalnoten von Bach, Mozart und Beethoven, vor möglichen Kriegsschäden in Sicherheit gebracht werden. Nachdem der wilhelminische Bau neben der Friedrich-Wilhelm-Universität im April 1941 erstmals von Bomben getroffen worden war, beschleunigten die Planer die Evakuierung. Dennoch gelten seit Kriegsende rund 335 000 Bände als vernichtet. Bis heute ungeklärt ist der Verbleib von 300 000 weiteren Bänden, die im Krieg nach Schlesien und Pommern ausgelagert wurden.

Dass trotz der Kriegsverluste in den beiden Häusern der heutigen Staatsbibliothek wieder rund drei Viertel der ehemaligen Bestände vereinigt sind, wertet der Bibliothekswissenschaftler Werner Schochow als "letzten großen organisatorischen Erfolg" von Krüß. Dabei war der Mann, der die Bibliothek nach den Worten einer Nichte mehr liebte als seine Familie, bei seiner Berufung zum Generaldirektor im Jahre 1925 keineswegs als Bibliotheksexperte gekommen. Hugo Andres Krüß, der 1879 in Hamburg geboren wurde, studierte zunächst Physik in Jena, um später die väterliche Firma für Feinmechanik und Optik zu übernehmen. Organisatorisches Talent bewies er bei der Vorbereitung der Weltausstellung in St. Louis, wo er 1904 im Deutschen Pavillon die Abteilung "Wissenschaftliche Instrumente in Mechanik und Optik" leitete. Der preußische Kultusminister Friedrich Althoff war von dem jungen Wissenschaftler so angetan, dass er ihn nach Berlin rief. Krüß trat die Beamtenlaufbahn an, wurde geheimer Regierungsrat und Ministerialdirektor und übernahm 1922 die Leitung in der Hochschulabteilung.

Auch nach der Machtübernahme der Nazis zeigte sich Krüß als pflichtbewusster und loyaler Beamter. Strikt befolgte er seine Weisungen, jüdische Mitarbeiter zu entlassen. Als Gast in New York verharmloste er 1933 die Bücherverbrennung als "symbolische Handlung", von der die wissenschaftliche Arbeit in den Bibliotheken in Deutschland "überhaupt nicht berührt" würde. Ein Irrtum, den Hugo Andres Krüß vor 56 Jahren mit dem Leben bezahlte.

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