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Netter Kerl mit dem richtigen Ton: Ibo Yilmaz.

© Jörg Carstensen

Fußball-Schiedsrichter in Berlin: Viele hören wieder auf, weil sie beschimpft oder bedroht werden

1060 Schiedsrichter sind in Berlin ehrenamtlich im Einsatz. Viele werfen frustriert das Handtuch. Ibo Yilmaz von Internationale macht vor, wie das Spiel gelingt.

Der Mann, der die Tür aufriss und in die Kabine stapfte, war in der Berliner Fußballszene durchaus prominent. Ibo Yilmaz erkannte ihn, Wolfgang Ströhl hatte ja schon viele Oberligaspiele gepfiffen. Yilmaz, 16 Jahre alt, auch Schiedsrichter, war nicht ganz so prominent, das bemerkte er sehr schnell. „Hallo Mustafa“, sagte Ströhl, „ich bin dein Spielbeobachter.“

Angenehm, sehr erfreut, nur leider saß Mustafa zu Hause, er hatte das Spiel bei Rot-Weiß Neukölln kurzfristig an Yilmaz abgegeben. „Ich bin Ibo“, sagte der 16-Jährige etwas verlegen. Ströhl stutzte, dann lächelte er. Mustafa? Ibo? Egal.

Entscheidend war seine Botschaft: „Du hast fantastisch gepfiffen.“ Mit diesem Satz begann die Schiedsrichter-Laufbahn des Ibo Yilmaz.

Jetzt, 36 Jahre später, ist er immer noch dabei, der Bauch ist runder, das Haar grauer, die Leidenschaft unverändert. „Ich habe viele positive Erinnerungen“, sagt der gebürtige Türke mit deutschem Pass, „ich liebe es, auf das Spiel einzuwirken und Teil der Partie zu sein.“

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Yilmaz sitzt auf einer Bank neben den Kunstrasenplätzen des FC Internationale, neben ihm trainieren F-Jugendliche. Seit 2002 ist er bei Inter, seit 2008 Schiedsrichter-Obmann des Vereins. Zwei Meter weiter sitzt Gerd Thomas, der Vereinsvorsitzende, und sagt: „Ibo ist sehr beeindruckend, er kann auch lachen und nimmt Dinge mit Humor. Er vermittelt nonverbal etwas, das von den Spielern akzeptiert wird.“

Frustrierte Schiedsrichter boykottierten Spiele

Rund 1060 Schiedsrichter pfeifen in Berlin, jedes Jahr werden 120 bis 160 Unparteiische ausgebildet. Aber im gleichen Zeitraum hören genauso viele auf. Sie haben es satt, beschimpft oder gar bedroht zu werden, oft mit den schlimmsten Worten, die der Sprachschatz hergibt.

In der vergangenen Saison ist die Situation so eskaliert, dass alle Schiedsrichter in Berlin an einem Spieltag die Partien boykottiert haben, um auf die Probleme aufmerksam zu machen. Zu den Vereinen, die diese Aktion ganz besonders engagiert unterstützt haben, gehört der FC Internationale.

Zu diesem Zeitpunkt hatte Inter rund 30 Schiedsrichter, „und der Verein hat hinter uns gestanden“, sagt Yilmaz. „Wer zu uns kommt, der soll sich wohlfühlen.“ Klubchef Thomas, im Berliner Fußball ein sehr bekannter Mann, sagte zu dem Boykott: „Wir müssen endlich in die Diskussion über die Ursachen kommen, wir müssen Deeskalationsstrategien entwickeln, wir müssen die Schiedsrichter und ihr Unwohlsein ernst nehmen.“

Yilmaz drückt die Regeln durch – aber mit Freundlichkeit

Yilmaz kennt dieses Unwohlsein sehr gut. Rund 15 Schiedsrichter haben allein bei Inter deshalb wieder aufgehört, vor allem Jugendliche. Ibo Yilmaz will als eine Art Gegenentwurf auftreten. Als Beleg dafür, dass man auch Spaß haben kann beim Pfeifen, dass ein Unparteiischer nicht automatisch ein Feindbild sein muss.

Der 52-Jährige hat es bis zur Landesliga geschafft und zum Linienrichter in der Oberliga, er stieg bereits ein Jahr nach seiner Prüfung mit 16 Jahren in den Jugend-Leistungskader der Schiedsrichter auf, zwölf Monate nach seinem ersten Spiel als Schiedsrichter. Das hatte er gepfiffen, weil niemand anderer da war. Eine Verlegenheitslösung, es hat ihm Spaß gemacht. Der Lehrgang folgte, dann der Auftritt von Ströhl.

Und in fast jedem Spiel versucht Yilmaz, die Regeln auf seine Weise durchzudrücken, mit Freundlichkeit, Verständnis, dem Eingeständnis von Fehlern. Das ist ein Teil von Yilmaz’ Charakter, das ist aber auch Teil einer harten Schulung. Der Familienvater pfiff acht Jahre lang auch bei Straßenfußballern. Und in den Käfigen wird Sport auch als Machtdemonstration ausgelebt. „Eskalationen sind programmiert“, sagt Yilmaz.

Er hat beim Straßenfußball viel gelernt

Aber genau das reizte ihn. Hier konnte er auf die raue Art lernen, wie man es schafft, dass Fußballer Regeln akzeptieren und Fairplay nicht bloß als lächerliche Prämisse für Schwächlinge betrachten. „Ich habe viel gelernt“, sagt Yilmaz.

Gangway hatte die Spiele organisiert, eine Streetworker-Einrichtung. Mit der Masche vom harten Mann würde er hier nicht durchkommen, das war Yilmaz schnell klar. Die anderen waren härter als er. Also redete er, er suchte den Dialog, er gab vor allem Fehler zu. „In dem Moment, in dem du einen Fehler zugibst, musst du nicht mehr viel tun, als das Spiel zu begleiten“, sagt er.

Doch das Ganze geht ja tiefer, es geht um die Art, wie Yilmaz seine Fehler moderierte: Er band die Spieler beider Mannschaften ein. Hatte er auf Eckball entschieden und Proteste geerntet, dann sagte er: „Okay, möglicherweise habe ich einen Fehler gemacht, weil ich die Szene nicht richtig gesehen habe. Fragen wir doch mal den betroffenen Spieler der anderen Mannschaft.“ Und der nickte dann schuldbewusst und erklärte: „Ja, ich habe den Ball tatsächlich berührt, Abstoß.“ So funktioniert das System Yilmaz.

Der Spieler stürmte wutentbrannt auf ihn zu

Natürlich ist das kein Beleg dafür, dass man mit drei Sätzen immer eine Atmosphäre entspannen kann. Schiedsrichter erleben sehr oft hitzige Momente. Ein Spieler ist auch schon mal auf Yilmaz zu gerannt, wütend wegen einer Gelb-Roten Karte. Yilmaz flüchtete in höchstem Tempo.

Später fragte ihn ein Trainer, der den Spurt beobachtet hatte, ob er nicht in sein Team kommen wolle. So schnell wie er sei keiner seiner Spieler.

Yilmaz pfeift nur noch Jugendspiele, das genügt ihm. Er muss derzeit ja auch noch auf die Corona-Regeln achten. Die Spieler dürfen sich nicht umarmen und zum Jubeln abklatschen, sie dürfen auch nicht auflaufen. Viel mehr Corona-Regeln gibt es aktuell nicht.

Wolfgang Ströhl, der Oberliga-Schiedsrichter, war im Übrigen nicht der einzige Prominente, der Yilmaz lobte. Nach einem Spiel sagte einer der Trainer zu ihm: „Du bist der beste Schiedsrichter, den wir je hatten.“ Der Coach war Ayhan Bilek, früher Profi bei Hertha BSC.

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