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Lauter Capo, leidenschaftliche Kurve: Die Fanszene des 1. FC Union Berlin genießt deutschlandweit einen guten Ruf.

© dapd

Fandebatte: Ihr seid keine Unioner!

Ehrlich, erdverbunden, antikommerziell: Für viele Neu-Berliner ist der 1. FC Union Berlin der "gute" Verein in der Stadt. Dabei vergessen die Mode-Fans etwas: Heimat kann man sich nicht aussuchen.

Am Anfang unterstützte ich J. noch uneingeschränkt: Dass da einer raus nach Köpenick fuhr, um dort gemeinsam mit 15 000 „Ostdeutschen“ Fußball zu schauen, schien mir die richtige Herangehensweise an Berlin. Damit hob er sich angenehm ab von den zahlreichen anderen Freunden, die wie J. und ich in den Jahren 2009 und 2010 nach Berlin gekommen waren und sich fortan größte Mühe gaben, die Stadt ausschließlich aus der Warte zentral residierender Jungakademiker wahrzunehmen.

Irgendwann aber wurde ich misstrauisch – in etwa in dem Maß, in dem der Rheinländer und Gladbach-Fan J. begann, diese anderen zu Expeditionen zum 1. FC Union Berlin zu überreden, den er jetzt seinen „Zweitverein“ nannte. J. besaß mittlerweile einen rot-weißen Fanschal, zeitweise gar eine (wenn auch nur geliehene) Dauerkarte und den festen Willen, seinen Freunden die „einzigartige Atmosphäre“ in der Alten Försterei nahezubringen. Immer wieder lotste er Rudel interessiert umherblickender Wessis dorthin, einmal war ich auch dabei – und schämte mich: dafür, wie wir da im Meer rot-weißer Schals in Zivil auf der Gegengeraden standen und über die Jugendmedientage plauderten.

Schon damals stellte ich mir zwei Fragen: Was passiert mit einer einzigartigen Atmosphäre, wenn immer mehr Menschen sie aufsuchen, ohne aber mit der Bedingungslosigkeit eingefleischter Fans zu ihr beizutragen? Und was ist eigentlich davon zu halten, dass westdeutsche Bürgerkinder ihr Berliner Identitätsheil in einem Ost-Berliner Arbeiterverein suchen? Die erste Frage ist schnell zu beantworten: Es wird der Atmosphäre schaden. Die zweite ist ungleich kniffliger, wirft sie doch die viel grundsätzlichere Frage nach der Identität derer auf, die eine neue Heimat in Berlin suchen. Die Überidentifikation mit Union ist dafür sicher nur die zweit- bis zehntschlechteste Lösung – trotzdem möchte ich der stetig wachsenden Zahl derer, die nun Union als trendiges Berliner St.-Pauli-Surrogat für sich entdecken, zurufen: „Ihr seid keine Unioner!“ Ihr seid fremd in der Alten Försterei, so fremd wie ich! Ihr verliert euch mit eurem flüchtigen Blick in die Kurve in Klischees über die „guten Seiten“ der hier immer noch genuin ostdeutschen Gesellschaft: Heimelig, stolz und erfinderisch wird aus nichts viel gemacht – das bestätigt nur die Kitschbilder in eurem Kopf. Und glaubt ja nicht, ihr könntet als Touristen an einer Stimmung teilhaben, ohne sie zu ihrem Nachteil zu verändern.

Dabei steht es mir gar nicht zu, den 1. FC Union Berlin vor der Unterwanderung durch Schönwetterfans aus Westdeutschland schützen zu wollen. Es geht mir um die (nicht vorhandene) interkulturelle Sensibilität der anderen Seite. Die Vorstellung, „Heimat“ flugs erwählen zu können, scheint mir ein Auswuchs individualisierter Lebensführung, der dem Religionstourismus von Hollywoodstars in wenig nachsteht. Eigentlich sollte es für all jene, die ihre Herkunftsregion verlassen, um anderswo ihr Selbst zu verwirklichen, Einführungskurse geben in die emotionalen Konsequenzen des erwählten Lebenswandels: „Nomadisches Leben – in Würde geführt“ wäre ein Fach, von dem gerade eine attraktive Stadt wie Berlin profitieren könnte. Man stelle sich das vor: ein Berlin, in dem die herbeiströmenden Völker der Welt nicht auf die eine oder andere Weise unsensibel über Gewachsenes hinwegtrampeln, sondern sich immer hinterfragen: Wie zerstöre ich durch mein Hiersein etwas, was es vorher gab? Und was kann ich der Stadt dafür zurückgeben?

Was Freund J., der selbstverständlich intelligent genug ist, sich all diese Fragen zu stellen und die Antworten in sein Handeln einzubeziehen, dem 1. FC Union zurückgeben kann, davon konnte ich mir bei meinem einzigen Besuch im Köpenicker Forst ein Bild machen: J. sang, J. grölte, J. schwang seinen Schal. Im Gegensatz zu seiner Reisegruppe war er Teil des rot-weißen Meers. Das rheinische Temperament und Union passten da deutlich sichtbar zusammen. Vielleicht sollte er nur aufhören, Miesmacher wie mich mitzunehmen.

Anmerkung vom 28. November 2011: Eine schöne Replik auf diesen Text, auf die wir an dieser Stelle gern hinweisen, findet sich unter http://www.textilvergehen.de/2011/11/26/ich-bin-kein-berliner/.

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