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Im Exil

© Doris Spiekermann-Klaas

Flüchtlinge: Im Exil

40 Millionen Flüchtlinge gibt es auf der Welt. 605.000 davon leben in Deutschland. Zum Beispiel im Wohnheim Berlin-Marienfelde.

Sie fliehen vor politischer, religiöser oder ethnischer Verfolgung, vor Krieg oder Bürgerkrieg, sie bleiben in der Nähe ihrer Heimatregion oder gehen ins Ausland: Rund 40 Millionen Menschen, schätzt das UN-Flüchtlingshilfswerk, sind weltweit auf der Flucht. 605 000 von ihnen leben in Deutschland. Das Übergangswohnheim des Internationalen Bundes in Berlin-Marienfelde hat Platz für 176 Personen. Es gibt möblierte Doppelzimmer à 13 Quadratmeter und für Familien kleine Zweizimmerapartments. Auf jeder der drei Etagen sind zwei Küchen und drei Sanitärräume. Im Garten stehen Bänke und eine Tischtennisplatte.

Zimmer 14, erster Stock.

Jeden Morgen macht Mukesh Singh die Lichterketten an, die an der Wand über der Kommode hängen. Der Plastikpfau beginnt grün und pinkfarben zu blinken, der Gott Ganesh, der in einem Glaskäfig sitzt, fängt an zu leuchten. Singh zündet Räucherstäbchen an, dann betet er.

Singh ist Inder aus Punjab, weit im Norden des riesigen Landes. Er spricht besser Russisch als Deutsch, weil er lange Zeit in einem Heim gewohnt hat, in dem die Aussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion in der Mehrheit waren. In der Kommode hat er DVDs mit Bollywoodfilmen. An der Wand hängen dicht nebeneinander Kalender mit bunten Bildern von indischen Göttern. Singh kocht gerne. Und wenn er Fladenbrot backt, dann so reichlich, dass er viel verschenken kann.

Im Exil
Zimmer 14. Mukesh Singh aus Indien. -

© Doris Spiekermann-Klaas

Küche, erster Stock.

Ein Herd, vier elektrische Doppelkochplatten. Alles ist sehr sauber. Jeder Bewohner hat einen kleinen Schrank, in dem er Nahrung oder Kochgeschirr aufbewahren kann. Lauter kleine weiße Türen, die mit Vorhängeschlössern gesichert sind. Es sieht aus wie in einer Umkleidekabine. Die Menschen können ohne Anmeldung kochen, dann riecht es im ganzen Haus nach Curry oder Knoblauch. Nur von Mitternacht bis fünf Uhr früh soll Ruhe sein. Das steht auf einem Zettel. Es hat Klagen gegeben. Die Kletterrosen, die vor dem Fenster blühen, werden von den Bewohnern gegossen, wenn es heiß ist.

Zimmer 224, zweiter Stock.

Betten, weiß bezogen, die Wände kahl. Der Mann, der hier wohnt, ist erst seit ein paar Monaten in Deutschland. Ein Professor mit einem kurz gestutzten weißen Bart ums Kinn. Er will nichts weiter über sich und sein Leben erzählen. Auf einem Ecktisch sitzen in einer Gruppe Stofftiere. Erinnerungen an seine Tochter, sagt der Mann, die ist sieben Jahre alt. Er dreht sich weg, als er zu weinen anfängt.

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Küche. Jeder hat einen Schrank für Töpfe und Teller. -

© Doris Spiekermann-Klaas

Fitnessstudio, Keller.

Zwei Räume, blassgrün angemalt, kalkig-kühles Neonlicht von der Decke, es riecht klamm und kellerkalt. Im rechten Raum stehen vier Trimmfahrräder, ein Stepper und ein Laufband. Im linken liegen Hanteln auf dem Boden. An der Decke hängt ein Sandsack. Oft kommen Männer und schlagen auf den ein, bis sie außer Atem sind. Im Raum verteilt stehen außerdem Hebemaschinen. Ein Mann stemmt Gewichte und schnauft vor Anstrengung. Ein kleines Mädchen in rosa Shirt und Hosen schaut ihm zu, seine Tochter. Die beiden sind aus der Mongolei.

Frauenraum, Keller.

Es wohnen viel mehr Männer als Frauen im Wohnheim. Das ist nicht einfach, manchmal kommt es zu Streit. 2001 wurde deshalb der Kellerraum Nummer 42 zum Frauenraum gemacht. Hierher können die Frauen gehen, wenn sie keinen Mann mehr sehen wollen. Hier gibt es: zwei Sessel, ein Sofa, einen Tisch, zwei Regale, einen Fernseher, drei Brettspiele, drei Kartenspiele, zwei Mikado-Sets, eine Holzgarderobe, eine Lampe. Und an den Wänden sind zehn Abdrücke von lippenstiftroten Mündern zu sehen.

Zimmer 228, zweiter Stock.

Lindsey P., 26, aus Haiti, kommt gerade vom Sprachkurs. Seit sieben Monaten ist sie in Deutschland, ganz kurz erst im Wohnheim. Sie teilt sich ein 13-Quadratmeter-Zimmer mit einer anderen Frau. Jede hat ein Bett und Platz im Schrank. Aus Haiti hat sie ein Fotoalbum mitgebracht und eine Bibel mit goldenem Rand. Beides passte in ihre Handtasche.

Im Exil
Zimmer 42. Der Frauenraum im Keller wurde vor sechs Jahren eingerichtet. -

© Doris Spiekermann-Klaas

Fernsehraum, zweiter Stock.

Die zwei Sofas sind weich und samtig. Ein junger Mann lehnt sich darin zurück. Es läuft Viva, der Musikkanal, und die platinblonde Popsängerin Gwen Stefani singt ein Lied. Die Balkontür steht offen, und etwas Sonne fällt herein, weil der dunkle bodenlange Vorhang nur halb geschlossen ist. Wer in den Fernsehraum will, muss im Büro den Schlüssel holen und sich in eine Liste eintragen. Wer als Erster da ist, bestimmt das Programm.

Kleiderkammer, Keller.

Zwei Räume. In einem Regal liegen Reitstiefel in Größe 45, daneben ein einzelner Turnschuh. Pullover sind ordentlich gefaltet und gestapelt. Hemden und Jacken hängen auf Bügeln. Wer will, kann sich nehmen, so viel er will. Im zweiten Raum sind Sachen nur für Frauen und Kinder. Fünf bunte Schulranzen stehen auf einem Schrank. Im Regal fünf Papierlampions für einen Laternenumzug. In der Ecke ein Karton mit Stofftieren. Es wird viel gespendet, vom Basecap bis zum DVD-Spieler. Besonders zu Weihnachten.

Zimmer 230, zweiter Stock.

Hussein Z. ist aus dem Iran geflohen, weil die Sicherheitspolizei seine Wohnung in der Provinz Khuzestan durchsucht und dabei religionskritische Literatur entdeckt hatte. Als er vor zehn Monaten in Berlin ankam, hatte er nichts. Jetzt hat er einen Kühlschrank, einen Wasserkocher, zwei Koffer und einen persischen Kalender, ein Werbegeschenk von einem Kölner Import-Export-Betrieb. Auf den gemalten Bildern über den Monaten räkeln sich in bunten Farben arabische Schönheiten. Im Iran würde so etwas verboten, sagt Hussein. Er ist 45 Jahre alt. Manchmal telefoniert er mit der Familie im Iran. Jetzt trinkt er Tee.

Waschküche, Keller.

Zwei Trockner, vier Waschmaschinen. Eine läuft und quietscht rhythmisch. Es klingt wie ein Tischtennisspiel.

Gemüsegarten, im Hof.

In einer Ecke der Rasenfläche ist hinter einer Holztür ein Gemüsegärtchen, in dem es grünt. Erdbeeren wachsen hier, Bohnen, Möhren, Petersilie, Pfefferminz und draußen vor dem Maschendrahtzaun, der die Grenze ist zum Firmengelände nebenan, auch Knoblauch. Die Bewohner ernten hier fürs Essen. Die Knoblauchpflanzen sind gerade erst geschnitten worden. Sieben Bewohner kümmern sich um den Garten. Freiwillig und regelmäßig.

Zimmer 140, erster Stock.

Ein Zimmer mit Flur und Bad. Der Kurde Firat, der auch hier wohnt und sich gerne nützlich machen wollte, hat die Wände weiß gestrichen, jetzt verlegt er fuchsiafarbene Teppichfliesen. Die sind von Ikea und heißen „Tarup“. Jemand hat sie gespendet. Wenn Firat fertig ist, zieht hier die Familie aus der Mongolei ein.

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